Die wenigsten Romane enden mit dem letzten Satz der Handlung. Neben einem Epilog, der sich zumeist noch im Kosmos der Geschichte bewegt und den eigentlichen Abschluss des Erzählten darstellt, folgen meist noch einige Seiten, in denen der Autor persönlich das Wort ergreift. Wozu dient das Nachwort? Wann ich es für sinnvoll halte, und wo ich, besonders bei historischen Romanen, Probleme sehe …
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Die meisten Autoren schreiben eine Danksagung an die Menschen, die ihre Arbeit am Roman unterstützt haben, und oft legen sie dar, weshalb sie sich für das Projekt begeistert haben und wie der Arbeitsprozess verlief. Im Genre der historischen Romane findet im Nachwort oft noch ein historischer Ausblick oder Bemerkungen zum Hintergrund der Geschichte Platz – ein nützliches und machtvolles Instrument.
Wie authentisch können historische Romane sein?
Der Frage, wie ein gelungenes Nachwort aussehen soll, liegt eine weitere zu Grunde, die man bei historischen Romanen generell stellen kann: Wie bedingen sich Fakten und Fiktion gegenseitig? Und wie viel Realismus ist überhaupt möglich? Natürlich sollten die allgemeinen Rahmenbedingungen der Epoche, die ereignisgeschichtlichen Daten und verbriefte Geschehnisse möglichst beachtet werden, aber darüber hinaus, sobald es um Details, Gedanken und Gefühle geht, begibt man sich unwillkürlich ins Reich der Fantasie. Nicht einmal eine wissenschaftliche Abhandlung kann die Vergangenheit lückenlos und „richtig“ abbilden, und eine fiktive Geschichte, in der es zusätzlich ja um Spannung und Unterhaltung geht, erst recht nicht.
Wie also kann Authentizität – oder der Eindruck davon – im historischen Roman hergestellt werden? Grundsätzlich natürlich durch Quellenarbeit. Man kann die Zeugnisse der Zeit, über die man schreibt, zu Rate ziehen. Neben diesen Informationen aus erster Hand findet sich meist eine Menge wissenschaftliche Sekundärliteratur, aus der Autoren Informationen beziehen und diese einarbeiten können. Den Leser in die Vergangenheit entführen heißt, dieses Material unterhaltsam aufzubereiten. Verschiedene Mittel können ihm dabei helfen, in eine andere Zeit einzutauchen. Dazu zählt zum Beispiel der Sprachgebrauch, der zwar nicht wirklich imitiert, aber zumindest angelehnt werden kann an die Art, wie die Menschen in der jeweiligen Epoche gesprochen haben. Wie in jedem anderen Genre tragen außerdem Beschreibungen und kleine Exkurse dazu bei, die gewünschte Atmosphäre aufzubauen.
Abseits der eigentlichen Geschichte kommt das Begleitmaterial ins Spiel. Karten, Stammbäume, Worterklärungen – der Anhang erläutert über den reinen Text hinaus und gibt oft einen Überblick über die Zeit, in der die Geschichte spielt.
Das Nachwort schließlich bietet dem Autor die Möglichkeit, ausführlich auf die Geschichte und ihre Hintergründe einzugehen und darzulegen, wo er recherchiert hat und wo er sich, entweder bewusst oder aufgrund mangelnder Quellen, für ein Mehr an künstlerischer Freiheit entschieden hat. Natürlich sind Romanschriftsteller (meistens) keine Wissenschaftler, und sie können auf den wenigen Seiten, die für das Nachwort zur Verfügung stehen, kaum die gesamte Forschungsdiskussion zu einem Thema darlegen. Meiner Ansicht nach können sie aber sehr wohl die wichtigsten Punkte aufzeigen, die ihnen bei der eigenen Recherche untergekommen sind. Im Idealfall passiert das ausgewogen und transparent.
How to Nachwort: ein paar Beispiele*
*Die genannten Titel sind mir aus verschiedenen Gründen besonders in Erinnerung geblieben, es handelt sich also um eine rein subjektive Auswahl.
Ein Nachwort, das ich unter diesen Gesichtspunkten als eher problematisch einstufen würde, ist das von Donna W. Cross in ihrem Erfolgsroman Die Päpstin2. Darin geht es um eine junge Frau namens Johanna, die sich im 9. Jahrhundert als Mann ausgibt, eine außergewöhnlich gute Bildung erlangt und es bis auf den Thron des Papstes schafft. Diese Geschichte, die sich für einen Unterhaltungsroman natürlich wunderbar anbietet, lässt sich mit ein wenig Recherche vielleicht nicht als völlig unmöglich abtun, besonders wahrscheinlich wirkt sie aber ebenso wenig. Der Wahrheitsgehalt der Legende um Päpstin Johanna ist immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen.
Leider gesteht Cross der Debatte kaum zu, eine berechtigte Kontroverse zu sein. In ihrem recht ausführlichen Nachwort erweckt sie durchgehend den Eindruck, dass es sich bei Johannas Pontifikat um eine historisch nahezu einwandfrei belegbare Tatsache handele, die lediglich von der Kirche und der Wissenschaft unterdrückt werde, ganz im Sinne populärer Verschwörungstheorien. Die mindestens ebenso berechtigten Gegenargumente werden nur dann erwähnt, wenn man sie (vermeintlich) einwandfrei negieren kann, auch wenn dafür mit Wahrscheinlichkeiten und Hypothesen jongliert werden muss. Das Nachwort in Die Päpstin dient also nicht dazu, den Forschungshintergrund darzulegen, sondern es soll die erzählte Geschichte stützen und ihr einen größeren Wahrheitsanspruch verleihen. Nicht nur befördert Cross mit ihrer allgemein vereinfachten und einseitigen Darstellung der Verhältnisse im 9. Jahrhundert das mittlerweile zumindest in Frage gestellte Bild des „finsteren“ Mittelalters, sie opfert in ihrer durchgehenden Verteidigung der Legende den Wahrheitsanspruch zugunsten ihrer vorgeschobenen Glaubwürdigkeit.
Das Problem ist nicht, dass sich Cross in Die Päpstin für eine bestimmte Variante der möglichen Geschichte, nämlich die Existenz Johannas, entschieden hat. Jeder Autor, der historische Stoffe oder Legenden aufgreift, trifft solche Entscheidungen. Das Problem ist die Darstellung im von der Handlung losgelösten Nachwort – eben nicht als eine mögliche Variante, sondern als einzig wahre Tatsache, womit die Autorin den historisch unbedarften Leser in die Irre führt, als gäbe es keine alternative Auslegung. (Anm. vom 07.10.18: Wie in den Kommentaren berechtigterweise angemerkt wurde, muss bei der Bewertung von Cross mit bedacht werden, dass der Roman Die Päpstin deutlich früher geschrieben wurde, als die anderen, die hier Erwähnung finden. Die Messlatte hinsichtlich historischer Genauigkeit war für Romane damals in der Tat noch eine andere. Ich halte die Argumentationsweise der Autorin trotzdem für problematisch, möchte aber dennoch auf diesen Punkt hinweisen.)
Abseits solcher wenig gewinnbringender Nachworte sind mir glücklicherweise schon weitaus mehr Beispiele für gelungene begegnet.
Daniel Wolf gibt im Nachwort zu seinem Roman Das Salz der Erde3 (und auch den Nachfolgern) einen anschaulichen Überblick darüber, auf welchen Fakten die Handlung basiert. Nicht nur legt er die generellen sozialen und politischen Verhältnisse des Mittelalters dar, sondern er erklärt auch, welche Wendungen und Begebenheiten in seiner Geschichte eher unwahrscheinlich gewesen wären. Indem er aufzeigt, welche Details er abgeändert oder erfunden hat, schafft er eine Transparenz, die dem Leser das Gefühl gibt, zwar keinen Tatsachenbericht, aber einen fundiert recherchierten Roman vor sich zu haben.
Auch Sabrina Qunaj geht in Die Tochter des letzten Königs4 ausführlich auf die Quellenlage und den bekannten Teil der Biographie ihrer Protagonistin ein. Sie erklärt sogar, weshalb sie sich für eine bestimmte Schreibweise ihres Namens entschieden hat. An ihren Erklärungen wird deutlich, woher die Inspiration zu ihrer Geschichte kam und was ihr daran wichtig ist.
Ein ausnehmend langes und detailliertes Nachwort findet sich zum Roman In Nomine Diaboli5 von Monika Küble und Henry Gerlach. Die Geschehnisse um das Konstanzer Konzil, wo der historischer Krimi angesiedelt ist, sind komplex und schwer zu überblicken. Die beiden Autoren liefern auf mehreren Seiten eine ausführliche Einordnung der Hintergrundgeschichte und benennen viele Quellen, an die sie sich gehalten haben – etwa, um Straßennamen, Personennamen und quellennahe Zitate einzuflechten. Der Leser kann sich ein Bild davon machen, wie akribisch Küble und Gerlach bei ihrer Recherche vorgegangen sind. Außerdem erklären sie, wo sie von den belegten Geschehnissen bewusst abweichen mussten, wenn es ihre fiktive Geschichte verlangt hat.
Auch viele andere Autoren bemühen sich, zumindest einen kurzen Abriss darüber zu geben, was über dargestellte Personen oder Ereignisse bekannt ist. Peter Prange gibt in Die Philosophin freimütig zu, dass ein Großteil der Handlung erfunden ist, da ohnehin wenige gesicherte Informationen über Sophie Volland vorliegen. Auch Rebecca Gablé zeigt stets auf, dass es in der Geschichte oft verschiedene Deutungen gibt und weshalb sie sich einer Variante angeschlossen hat.
Worauf Autoren meiner Ansicht nach achten sollten
Selbstverständlich kann man nicht erwarten, dass jeder Autor wissenschaftliche Darlegungen an seine Geschichte anfügt, und nicht jeder historische Roman hat die gleichen Ansprüche an Konzepte wie Wahrheitsgehalt oder Authentizität. Das ist völlig legitim, da die Belletristik in erster Linie der Unterhaltung dient.
Allerdings kursieren im Bereich der Geschichte eine Menge Ammenmärchen, und ein erfolgreicher Roman kann dazu beitragen, Halbwissen oder Legenden in den Köpfen der Leser zu zementieren. Deshalb kann das Nachwort ein wichtiges Mittel sein, um das Geschichtsbewusstsein der Leser zu stärken. Wer sich wirklich dafür interessiert, wird wahrscheinlich ohnehin eigenständig weiterlesen. Aber egal, wie ausführlich, sollte das Nachwort doch zumindest ausgewogen sein und nicht die fiktive Aussage eines Romans unhinterfragt bestätigen. Eine hundertprozentige „Wahrheit“ kann ohnehin niemals erreicht werden – deshalb lieber gleich transparent sein, Abweichungen kenntlich machen und dem Leser wertvolles Hintergrundwissen liefern. In meinen Augen schmälert das nicht die Arbeit des Autors, sondern ergänzt sie.
- Ivan Kramskoi: Reading woman, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16082139, Zugriff am 03.09.2017.
- Donna W. Cross: Die Päpstin, Aufbau Verlag, 1996.
- Daniel Wolf: Das Salz der Erde, Goldmann Verlag, 2013.
- Sabrina Qunaj: Die Tochter des letzten Königs, Goldmann Verlag, 2014.
- Monika Küble, Henry Gerlach: In Nomine Diaboli, Gmeiner Verlag, 2013.
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