Mafia im Vatikan? | Sarah Dunant: Der Palast der Borgia

Von Morden und Mythen

Man hält sie nicht gerade für die feine Gesellschaft der Renaissance. Die Borgia werden mit der mafiösen Familie aus „Der Pate“ verglichen oder gleich als „The original crime family“1 bezeichnet. Der Legende nach waren sie Giftmischer und Mörder, und doch bewunderten sie viele für ihren kometenhaften Aufstieg im Vatikan. Bis einer der ihren einem Meuchelmord zum Opfer fiel und der Zusammenhalt der Familie erstmals ins Wanken geriet. Heute geht es um die Verwicklungen, von denen Sarah Dunant in „Der Palast der Borgia“ erzählt.
(! Manche Details der Handlung könnten gespoilert werden. >>Direkt zur Rezension<<)

1. Wer waren die Borgia?

Der Roman beginnt mit dem Konklave von 1492. Für die Borgia steht alles auf dem Spiel – wenn sie es jetzt auf den Papstthron schaffen, wird ihre Macht unerreichbar groß. Verlieren sie, werden sie nicht in die Geschichtsbücher eingehen. Wie aber kamen sie an diesen Wendepunkt? Woher kam die Familie, die die Geschicke Roms und Italiens so nachdrücklich prägen sollte?

1.1. Wurzeln in Spanien

Aufgestiegen ist die Familie in Valencia in Spanien. Sie nannte sich zunächst Borja und hatte schon früh einen Stier als Wappentier, um Mut und Tapferkeit zu demonstrieren. Der Durchbruch auf italienischem Boden (daher auch die Namensänderung in ‚Borgia‘) gelang Alonso de Borja, der als Kalixt III. 1455 zum Papst gewählt wurde.2

Es war zu jener Zeit üblich, seinen Verwandten einträgliche Ämter zuzuschieben, um der Familie Geld und Macht zu sichern. Dieses Vorgehen nennt man Nepotismus (von lat. nepos = Neffe, schließlich hatten Kirchenmänner zumindest offiziell keine Söhne). Dementsprechend wurde Rodrigo Borgia, der Neffe von Kalixt, zur Schlüsselfigur. Mit nur 24 Jahren wurde er zum Kardinal, zum päpstlichen Vizekanzler und zum General der päpstlichen Truppen ernannt. Die Einkünfte daraus ermöglichten ihm den Lebensstil eines Adeligen.3

Portrait von Papst Kalixt III.
Kalixt III. – der erste Papst aus der Borgia-Familie. (Bildquelle4)

Aufstieg eines Lebemanns

Und lebensfroh war Rodrigo auch in Bezug auf Frauen, wenn man den zeitgenössischen Berichten Glauben schenken darf. Für sein Verhalten wurde er sogar von Papst Pius II. getadelt:

Man hat Uns berichtet, dass auf höchst unziemliche Weise getanzt wurde: kein amouröses Spiel wurde ausgelassen, und du hast dich benommen wie ein Jüngling aus der Laienwelt. Der Anstand gebietet Uns, nicht näher zu benennen, was vorfiel; allein schon der Name dieser Handlungen ist mit deiner Würde
unvereinbar.5

Pius II. berief sich in seiner Warnung auch auf das Andenken an Kalixt III. und schärfte dem jungen Prälaten ein, er solle sich seiner schützenden Hand künftig als würdiger erweisen:

Solltest du nicht bessere Sitten annehmen, sind Wir gezwungen, öffentlich zu erklären, dass du dich ohne Unser Einverständnis oder richtiger zu Unserer schärfsten Missbilligung so beträgst; und eine Rüge von Uns wird dir gewiss nicht zur Ehre gereichen.6

Doch abgesehen von seiner Dekadenz erwies sich Rodrigo als fähiger Politiker, dem es gelang, seine Ämter und sein Ansehen unter den drei Päpsten zu erhalten, die seinem Onkel nachfolgten. Er war ein wichtiger Diplomat und agierte insbesondere auf spanischem Boden als Gesandter, womit er die Ressentiments ausglich, die viele Römer gegen den Spanier hatten.7

Brief Papst Alexanders VI. an seinen Sohn
Hier zu sehen ist ein Brief von Rodrigo Borgia an seinen Sohn, in dem er ihn wegen seiner hohen Ausgaben mahnt. Die Zurechtweisung von Papst Pius an ihn selbst kann ähnlich ausgesehen haben. (Bildquelle8)

1.2. Die Papstwahl 1492

Als Papst Innozenz VIII. im Juli 1492 starb, war die Wahl seines Nachfolgers wie immer ein Politikum. Die Favoriten, Giuliano della Rovere und Ascanio Sforza, wurden jeweils von Neapel und Mailand unterstützt – schließlich wollte man sich die Gunst des nächsten Heiligen Vaters sichern. Zwar galten Korruption und Stimmenkauf als schwere Sünden, dennoch flossen beim ‚Wahlkampf‘ im Vatikan beträchtliche Geldsummen.9

Alles in die Waagschale

Zunächst hatte der sechzigjährige Rodrigo Borgia keine allzu guten Aussichten, aber die Uneinigkeit der beiden Favoritenparteien und sein Reichtum halfen ihm schließlich. Er machte gewaltige Versprechen in Form von Ämtern, Ländereien und klingender Münze, und mit der Zusage, Ascanio Sforza zum Vizekanzler zu machen, ergatterte er schließlich doch die erforderliche Anzahl an Stimmen.10 So wurde am Morgen des 11. August 1492  verkündet, dass der neue Papst ein Borgia sei und den Namen Alexander VI. angenommen hatte. Besonders die einfachen Römer begrüßten die Wahl des großzügigen, lebensfrohen Kardinals mit Begeisterung.11

Renaissancepapst Alexander VI.
Rodrigo Borgia als Papst Alexander VI. – definitiv eine stattliche Erscheinung. (Bildquelle12)

Wer beim Konklave das Nachsehen hatte, führte rasch die lose Moral des neuen Pontifex ins Feld, und insbesondere Giuliano della Rovere brachte den Vorwurf der Simonie ins Spiel. Die Anklage, geistliche Ämter verkauft zu haben, war wohl nicht unberechtigt, aber auch nicht ungewöhnlich. Della Rovere wurde später als Julius II. doch noch Papst, und er ließ das anrüchige Geschäft verbieten – aber erst, nachdem er sich damit seine eigene Wahl noch gesichert hatte.13

2. Ein Papst mit Familie

Im Roman von Sarah Dunant erfahren wir bald, wie sich die Wahl des Borgia-Papstes auf seine Kinder auswirkt. Der Mann, der zwar ein hochrangiger Kirchenmann, aber doch auch einfach ihr Vater gewesen war, ist plötzlich Papst.

Heute erscheint es uns eher unwirklich, dass Päpste zum Teil ganz offen Familien hatten und Liebschaften unterhielten, auch wenn man die Sinnhaftigkeit des Zölibats in der modernen Gegenwart (meiner Ansicht nach berechtigterweise) vermehrt in Frage stellt. Dass Alexanders Gegner die Tatsache seiner Unkeuschheit ins Feld führten, ist also eher auf ihren persönlichen Groll zurückzuführen als darauf, dass er damit allein auf weiter Flur gewesen wäre.

2.1. Der Zölibat, an den sich keiner hielt

Dass viele Kirchenmänner wenig auf das Gebot der Enthaltsamkeit gaben, ist für diese Zeit vor allem damit zu erklären, dass bei weitem nicht alle aus freien Stücken ein geistliches Amt wählten. Sehr oft standen politische und familiäre Verpflichtungen dahinter. Vielfach war der erste Sohn der Erbe einer Familiendynastie, während ein zweiter oder dritter eine kirchliche Laufbahn einschlagen musste, um dort seinen Einfluss geltend zu machen und den Wohlstand und die Macht seines Geschlechts zu mehren. Frömmigkeit und religiöse Überzeugungen standen dabei selten an erster Stelle. So war es eher ein offenes Geheimnis, dass viele Prälaten zwar unverheiratet waren, aber zahlreiche Affären hatten. Immer wieder betonten Chronisten, in der heiligen Stadt hätte es besonders viele Prostituierte gegeben. Manche Schilderungen mögen übertrieben sein (sie spielten wenig später den Reformatoren um Martin Luther in die Hände), aber einen wahren Kern hatten sie ohne Zweifel.

2.2. Eine Art Familienleben

Rodrigo Borgia hatte im Laufe seines Lebens viele Liebschaften, aus denen insgesamt mindestens acht Kinder resultierten. Von einigen blieb sogar der Name der Mutter unbekannt, und manche waren bereits tot, als er den Papstthron bestieg. Doch eine seiner Beziehungen und deren Sprösslinge sollten historisch große Bedeutung erlangen.

(ein Klick auf das jeweilige Bild zeigt Informationen über die Person an)

 

Dies war gewissermaßen die Kernfamilie des Papstes, auch wenn die Mitglieder natürlich nicht in einem Haushalt lebten. Dass es hier auch Reibereien und Rivalitäten, insbesondere der Brüder, gegeben hat, ist wahrscheinlich. Zum Schein, und um ihre Versorgung zu gewährleisten, war Vannozza ebenso wie Giulia auch während der Beziehung zu Rodrigo Borgia verheiratet. Die gehörnten Ehemänner profitierten jedoch auch davon und wurden mit Ländereien, Geld oder Ämtern zufriedengestellt. Orsino Orsini, der Gatte von Giulia Farnese, war pikanterweise auch noch der Neffe und das Mündel ihres weitaus älteren Liebhabers. Sie verschaffte außerdem ihrem Bruder Alessandro das Kardinalsamt, das ihn viel später selbst auf den Papstthron führen würde. Einer Anekdote zufolge vererbte sie ihm ihr Bett, um ihn daran zu erinnern, wessen Diensten er seine hohe Stellung zu verdanken hatte.

3. Machtpolitik an der Kurie

Italien ist um 1500 eine geographische Bezeichnung für ein Gewirr aus größeren, kleineren und winzigen Territorien. Fürstentümer, Stadtstaaten und Söldnerführer konkurrieren um die Macht. Und der Papst ist mit seinem Gebiet mittendrin. Rodrigo Borgia hat großen Spaß daran, mit den politischen Akteuren zu spielen und sich die aussichtsreichsten Taktiken zu überlegen. Und nötig ist das auch.

3.1. Der Papst, (k)ein geistlicher Fürst

Der Kirchenstaat erstreckte sich zu jener Zeit über ein recht großes Gebiet im geographischen Italien. Die Einnahmen daraus flossen zwar an die Kurie, wie viel reale Macht der Papst jedoch außerhalb der Stadt Rom hatte, hing davon ab, wie gut er sich den lokalen Adel und umliegende Machthaber gewogen hielt.

Dass der Papst außerdem das geistliche Oberhaupt der Christenheit war, interessierte die umliegenden Mächte wenig, wenn es darum ging, ihre Territorien zu verteidigen oder zu vergrößern. Der Kurie blieb daher kaum etwas anderes übrig, als eine eigene Armee aufzustellen und im Geschehen mitzumischen. Je tiefer sich die Päpste freilich in die Politik verstrickten, desto aktiver mussten sie auch militärisch werden.

Karte, die das Italien der Renaissance zeigt.
Italien bestand um 1492 aus zerstückelten Territorien. Mittendrin: der Kirchenstaat. (Bildquelle14)

3.2. Die Papst-Söhne im Dienste des Kirchenstaats

Nicht nur, das Territorium der Kurie zu erhalten, war im Interesse des Papstes. Im Anschluss an den Gedanken, dass aus dem Pontifikat eines Familienmitgliedes der größtmögliche Profit zu schlagen sei, ging es stets auch darum, während der (oft kurzen) Amtszeit möglichst viel Reichtum zur Seite zu schaffen. Denn beim nächsten Konklave konnte sich das Blatt schon wieder wenden.

In Purpur und Rüstung für die Familie

Alexander VI. hatte mit der offiziellen Anerkennung seiner Kinder das sittliche Denken seiner Zeitgenossen bereits an die Grenzen gebracht und war damit durchgekommen. Doch nicht einmal er konnte darauf hoffen, das Papstamt auf einmal erblich zu machen. Deshalb war sein Ziel, ein eigenes, vom Kirchenstaat unabhängiges Territorium zu erschaffen, das den Borgia weit über sein Pontifikat hinaus Macht und Einfluss sichern würde. Die Voraussetzungen dafür standen gut: Juan, der General, und Lucrezia, die Tochter, waren politisch günstig verheiratet  worden, und Cesare jonglierte an der Kurie mit der Macht. Dann aber geschah etwas, das die fragile Balance gehörig ins Wanken brachte.

4. Ein Mord mit Folgen

Im Roman geschieht eine Tragödie, die zeigt, dass die Loyalität der Familienmitglieder zueinander schwankt. Und vor allem stürzt sie Papst Alexander VI. in die wohl schwerste Krise seines Lebens.

4.1. Das Ende eines Edelmannes

Im Sommer 1497 gab Vannozza de Cattanei ein Abendessen für die Familie, bei dem unter anderem ihre Söhne anwesend waren. Cesare und Juan waren gemeinsam auf dem Heimweg, als  Juan mit einem maskierten Diener davonritt, da er noch etwas vorhatte. Niemand dachte sich sonderlich viel dabei, denn seine Frauengeschichten waren legendär. Erst, als er auch am darauffolgenden Tag nicht nach Hause kam, meldeten seine Diener sich beim Papst, der voller Sorge nach ihm suchen ließ. Auch für einen hochrangigen Herrn waren die nächtlichen Straßen  Roms zur damaligen Zeit nämlich nicht ungefährlich.15

Borgia-Haus in Rom
Die „Borgia-Passage“ existiert noch heute in Rom. Hier fand möglicherweise das Fest von Vannozza statt, nach dem Juan von Gandia verschwand und ermordet wurde. (Bildquelle16)

Tod auf dem Tiber

Erst ein paar Tage später fischten die Wachen eine Leiche aus dem Tiber, mit zahlreichen Stichwunden übersät. Ein Fischer hatte gesehen, wie zwei Männer sie dort entsorgt hatten. Er  hatte seine Beobachtung aber nicht gemeldet, schließlich würden ständig Leichen in den Fluss geworfen, ohne dass sich jemand dafür interessierte (was einiges über die Kriminalitätsrate im damaligen Rom aussagt). Fast sofort war klar, dass es sich bei dem Toten in der Tat um Juan Borgia handeln musste. Er trug noch seine wertvolle Kleidung, sogar die Geldbörse war unangetastet geblieben. Ein plumper Raubüberfall wird es also nicht gewesen sein. Juan wurde unter großer Anteilnahme begraben, und manch einer beschied, im Tod habe er einen schöneren Eindruck gemacht als im Leben.17

Darstellung der Borgia aus dem 20. Jahrhundert
So stellte man sich in späterer Zeit die Szene vor, wie der tote Juan zu seiner Familie in den Vatikan gebracht wurde. (Bildquelle18)

Ein geläuterter Papst?

Der überraschende Tod seines Lieblings traf Rodrigo Borgia mit voller Wucht. Sein Zeremonienmeister, der in seinem Tagebuch sonst kein gutes Haar an dem Papst lässt, schildert beinahe mitfühlend, wie dieser tagelang nichts essen wollte und sich in seinen Gemächern einschloss. Danach erklärte er vor den versammelten Kardinälen:

Der Herzog von Gandia ist tot. Sein Tod hat Uns den größten Kummer bereitet, und keinen größeren Schmerz als diesen konnten Wir erleiden, denn Wir liebten ihn über alles und schätzten die Papstkrone noch anderes sonst nicht höher als ihn. Vielmehr würden Wir, wenn Wir sieben Papsttümer hätten, alle hergeben, um den Herzog  wieder lebendig zu machen. Gott hatt dies vielleicht um einer Unserer Sünden willen getan und nicht, weil er einen so grausamen Tod verdiente.19

Wer nun glaubt, der Borgia-Papst würde diese Erkenntnis tatkräftig umsetzen und sich dauerhaft einem gottgefälligeren Leben zuwenden, irrt natürlich. Zunächst aber galt es, die Mörder zu finden.

Fresko Alexanders VI. von Pinturiccio (Vatikan)
Die Fresken von Pinturiccio in den Borgia-Appartements idealisieren die Familienmitglieder als heiligmäßige Personen – wie hier Rodrigo bei der Auferstehung Christi. (Bildquelle20)

4.2. Ein Komplott der Rivalen?

Es half nicht, dass sich Juan in ganz Rom zahlreiche Feinde gemacht hatte. Man ging generell davon aus, dass die Drahtzieher des Mordes hochrangige Personen sein mussten. Dennoch kamen viele Leute in Frage. Der (Noch-)Ehemann von Lucrezia? Irgendein Clan, der politisch ins Abseits gedrängt worden war? Einer der zahlreichen Edelleute, mit deren Frauen Juan Affären gehabt haben soll? Sogar Kardinal Ascanio Sforza stand zeitweilig unter Verdacht.

Die Hauptverdächtigen hingegen waren und sind die Orsini. Diese mächtige Familie hatte in Rom schon lange mit dem Papst konkurriert. Nicht nur war ihre Macht durch die Borgia  beschränkt worden, sie lasteten Alexander auch die Vergiftung eines Familienmitgliedes an. Objektiv werden sie in der modernen Geschichtsschreibung als wahrscheinlichste Täter angesehen – ein klassischer Fall von Vendetta, Blutrache. Auch die Zeitgenossen waren überzeugt, dass die Orsini nun ihrerseits wieder auf der Hut sein mussten – in den kommenden Jahren sollte der Papst versuchen, ihnen das Handwerk zu legen.21

Portrait von Bartolomeo Alviano
Bartolomeo d’Alviano, Söldnerführer im Dienste der Orsini. Vielleicht mitverantwortlich für Juans Ermordung. (Bildquelle22)

4.3. Der Verdacht des Brudermords

Einige Zeit nach dem Tod Juans kamen allerdings noch ganz andere Gerüchte auf, die den Eindruck erweckten, der Schuldige sei im viel näheren Familienkreis zu suchen. Erst wurde der jüngste Bruder, Jofre, ins Feld geführt. Er soll unter den Spötteleien von Juan gelitten haben, und vor allem soll er eifersüchtig gewesen sein – seiner Ehefrau Sancha von Aragón sagte man Affären mit Cesare und auch Juan nach.23 Ob er aber, bei seiner Unscheinbarkeit, des Mordes fähig war? Wir wissen zu wenig über ihn, um das beurteilen zu können.

Viel einhelliger bildeten sich viele Zeitgenossen bald die Meinung, dass Cesare die Schuld trug. Wir werden an anderer Stelle noch sehen, dass er auch vor schmutzigen Lösungen nicht zurückschreckte, zuzutrauen wäre es ihm also. Dass er mit Juan in einer gewissen Rivalität um die Gunst des Vaters stand, ist ebenfalls naheliegend. Vor allem in der Populärkultur ist der Brudermord ein immer wiederkehrendes Motiv und prägte das Bild des grausamen Bösewichts, das wir heute vielfach von Cesare haben. Auch Juans Witwe, Maria Enriquez, schien die  Geschichte geglaubt zu haben. Man muss dabei aber bedenken, dass sie erst später aufgebracht wurde (möglicherweise von den Orsini, um von der eigenen Täterschaft abzulenken).

Statue von Maria Enriquez de Luna in Gandia.
Maria Enriquez de Luna, die spanische Ehefrau von Juan Borgia. Nach seinem Tod regierte sie über das Herzogtum Gandia. (Bildquelle24)

Im direkten Nachgang des Mordes hingegen beschuldigte in den bekannten Dokumenten niemand Cesare, nicht einmal jene, die ihm eigentlich feindlich gesinnt waren. Es gibt daher keinen einzigen belastbaren Beweis dafür, dass das Blut seines Bruders wirklich an seinen Händen klebte.

Auch im Roman von Sarah Dunant bleibt offen, wer wirklich für den Tod von Juan von Gandia verantwortlich zeichnet. Allerlei Verdächtigungen werden ausgesprochen, aber die Autorin verzichtet darauf, sich auf eine Version festzulegen. So bekommt der Leser einen Eindruck davon, wie ungewiss und aufgeladen die tatsächliche Situation damals gewesen sein muss.

4.4. Cesares Wandel

Nicht von der Hand zu weisen sind aber die Vorteile, die Cesare durch den Tod seines Bruders langfristig hatte. All die akribischen Pläne Alexanders VI. hatten sich zunächst in Luft aufgelöst, die dynastische und politische Zukunft war ungewiss. Doch er fand eine Lösung. Der Kardinal sollte wieder in den weltlichen Stand eintreten, heiraten und über ein eigenes Gebiet herrschen. Eine ‚Rückgabe‘ des Kardinalats war natürlich überhaupt nicht üblich und wurde auch von den zeitgenössischen Herrschern kritisiert.25

Cesares Charakter dürfte dieser Plan sehr entgegengekommen sein, tatsächlich aber scheint er auch gezögert zu haben, eine ungewisse Zukunft anzusteuern. Die Suche nach einer passenden Ehefrau gestaltete sich schwierig. Irgendwann aber hörte er endgültig auf, seine geistlichen Gewänder zu tragen, nahm an keinen Gottesdiensten mehr teil und widmete sich verstärkt der Übung an den Waffen.26

Eine französische Ehe

Da der französische König in seiner eigenen Ehefrage (er wünschte, sie aufzulösen) auf die Freundschaft des Papstes angewiesen war, konnte Alexander VI. günstige Bedingungen für Cesare aushandeln. Nicht nur sollte dieser zum Herzog von Valentinois ernannt werden, sondern auch die Befehlsgewalt über eine eigene Truppe und nicht zuletzt eine prestigeträchtige Gattin bekommen.27

Er heiratete schließlich Charlotte d’Albret, eine französische Adelige – nachdem klar wurde, dass man ihm keine waschechte Prinzessin geben wollte. Dennoch war sie eine überaus gute Partie, und die Eheleute schienen sich einigermaßen zugetan gewesen zu sein.28

Dasein als Feldherr

Portrait Niccolò Machiavellis
Machiavelli, der berühmte Staatstheoretiker aus Florenz. (Bildquelle29)

Das junge Eheleben währte nicht lange, denn Cesare verließ seine Frau bald, um wieder Krieg zu führen. Er konzentrierte sich voll und ganz, und mit großem Erfolg, auf seine Eroberungszüge in der Romagna und auf den Aufbau seines eigenen Herrschaftsgebietes. Die Härte, mit der er die militärischen wie persönlichen Kämpfe führte, brachte ihm endgültig den Ruf eines skrupellosen Tyrannen ein. Machiavelli bezog sich in seinem Buch „Der Fürst“ mehrfach auf den Charakter Cesares. Das Werk handelt auf sehr pragmatische und emotionslose Weise von der  Herrschaftsausübung, und an einer Stelle heißt es:

Cesare Borgia galt als grausam; nichtsdestoweniger hat er durch seine Grausamkeit die Romagna geordnet und geeint sowie dort Frieden und Ergebenheit wiederhergestellt. […] Einen Fürsten darf es daher nicht kümmern, der Grausamkeit bezichtigt zu werden, wenn er dadurch bei seinen Untertanen Einigkeit und Ergebenheit aufrechterhält; er erweist sich als milder, wenn er nur ganz wenige Exempel statuiert, als diejenigen, die aus zu großer Milde Missstände einreißen lassen, woraus Mord und Raub entstehen […].30

5. Der Ruf der Borgia

Die Borgia sind heute das Sinnbild für die skrupellose, korrupte Renaissance-Familie.  Künstlerische Bearbeitungen schlachten meist alle Klischees und Gerüchte aus und tragen so weiter zur Legendenbildung bei. Was die Zurschaustellung seines Familienlebens und die offenkundige Einbindung seiner unehelichen Kinder in die Politik anging, trieb Alexander VI. das Renaissance-Papsttum zwar auf die Spitze, aber in jeder anderen Hinsicht nahmen sich die damaligen Familien gegenseitig nicht viel. Sie alle waren auf ihren Machterhalt bedacht und bedienten sich aller verfügbaren Mittel. Intrigen, schmutzige Geschäfte und sogar Mord waren auch bei den Orsini, den Sforza, den Medici und anderen nicht ungewöhnlich.

Bildnis der Borgia-Legende
So stellte man sich die Borgia später vor – als verschworene Giftmischer, deren Einladungen mit Vorsicht zu genießen waren. (Bildquelle31)

Die schwarzen Legenden, die die Borgia umgeben, gehen vor allem auf deren direkte Widersacher zurück und wurden bereitwillig aufgegriffen. Verantwortlich waren vor allem Giuliano della Rovere (der als Papst Julius II. später auch kein Musterbild eines Geistlichen darstellte) und Johannes Burckard, der päpstliche Zeremonienmeister, dessen zweifelhafte Berichte die Bilder von ausschweifenden Orgien und Eskalationen geprägt haben.

Die Geschichte der Borgia ist zu lang, um sie selbst in so einem ausführlichen Artikel ganz zu erzählen. Auch der Roman endet etwa nach der Hälfte von Alexanders Pontifikat. Weshalb seine ambitionierten Pläne schließlich doch scheiterten und welche Rolle seine Lieblingstochter Lucrezia für den Ruf der Familie spielte, wird daher bald in einem Beitrag über das zweite Buch von Sarah Dunant, „Die letzte Borgia“, zu lesen sein.

6. Rezension

Cover des Romans "Der Palast der Borgia" von Sarah Dunant.
Sarah Dunant: Der Palast der Borgia, insel taschenbuch.

Da die Renaissance meine Lieblingsepoche ist, habe ich mich sowohl in Rom als auch unter den Figuren des Romans direkt ein wenig heimisch gefühlt. Andererseits wurde ich nicht sofort warm mit dem Buch, denn es gibt keine klare Hauptfigur, die die Handlung trägt. Anfangs wusste ich nicht recht, wem ich meine Sympathie schenken, mit wem mitfiebern sollte. Trotzdem wird jeder einzelne Charakter gut beschrieben und mit seinen jeweiligen inneren  Konflikten nachvollziehbar dargestellt.

Da die grundlegenden Ereignisse ohnehin bekannt sind, lag für mich die Spannung dann auch im Verhältnis der Protagonisten zueinander. Trotz der Gewalt, die natürlich erwähnt wird, wird wenig Action geschildert, sondern eher ruhig erzählt.

Sprachlich fand ich „Der Palast der Borgia“ sehr ansprechend und erfrischend. Die komplexe Ereignisgeschichte macht es nötig, dass immer wieder längere Passagen eingeflochten werden, die historische Zusammenhänge erklären. Dunant trifft hier den Ton sehr gut, manche Ereignisse werden so kommentiert, wie sie sich auch für die Protagonisten anfühlen: lakonisch-pragmatisch. Mir persönlich wurde das nie langweilig, allerdings kann ich mir vorstellen, dass es schwierig ist, allen Details zu folgen, wenn sich jemand noch nie mit den historischen Begebenheiten oder Figuren befasst hat oder sich dafür vielleicht gar nicht interessiert. Fairerweise muss man sagen, dass es manchen Passagen ein wenig an Lebendigkeit gefehlt  haben mag.

Ich mag jedoch die Herangehensweise von Sarah Dunant. Natürlich greift sie die bekannten Stoffe auf, schafft es aber, Personen wie Ereignisse differenziert und menschlich darzustellen und zu zeigen, dass die Borgia nicht dämonischer waren als die anderen Familien ihrer Zeit.

Ich finde, damit ist ihr ein sehr intelligenter Roman gelungen, den ich mit viel Freude gelesen habe. Wegen des relativ nichtssagenden deutschen Titels und des absolut kitschigen (und in meinen Augen völlig missratenen) Covers habe ich lange gezögert und wurde umso positiver überrascht, auch wenn ich wie gesagt aufgrund des Erzählstils etwas Eingewöhnungszeit gebraucht habe. Meiner Auffassung nach hat Dunant sehr ordentlich recherchiert und sich eng an die überlieferten Begebenheiten gehalten. Ihre eigenen Interpretationen und Ausschmückungen wirken dabei glaubhaft und schlüssig. Einiges erklärt sie auch in ihrem Nachwort, dem sogar eine Liste mit weiterführender Fachliteratur angefügt ist – das gibt einen dicken Pluspunkt.

Ich gebe für den historisch interessierten Leser eine klare Empfehlung für den Roman ab und freue mich darauf, die Geschichte von Lucrezia und Cesare bald im nächsten Teil weiter zu beleuchten. Und dafür geht es hier entlang!

Sarah Dunant: Der Palast der Borgia, erschienen im Jahr 2015 bei Insel, 648 Seiten.

>>Link zum Verlag<<

  1. The Borgias, Showtime, 2011.
  2. Cloulas, Ivan: Die Borgias. Biographie einer Familiendynastie, Zürich 1988, S.13- 25.
  3. Cloulas, Ivan: Die  Borgias. Biographie einer Familiendynastie, Zürich 1988, S.39-41.
  4. Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=703550, Zugriff am 22.06.2018.
  5. Zitiert nach Cloulas, Ivan: Die Borgias. Biographie einer  Familiendynastie, Zürich 1988, S.55.
  6. Zitiert nach Cloulas, Ivan: Die Borgias. Biographie einer Familiendynastie, Zürich
    1988, S.55.
  7. Cloulas, Ivan: Die Borgias. Biographie einer Familiendynastie, Zürich 1988, S.58-68.
  8. Brief Alexanders VI. an seinen Sohn Juan, Foto von Joanbanjo, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38503413, Zugriff am 22.06.2018.
  9. Cloulas, Ivan: Die Borgias. Biographie einer Familiendynastie, Zürich 1988, S.89.
  10. Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance, Hamburg 1979, S. 42-43.
  11. Cloulas, Ivan: Die Borgias. Biographie einer Familiendynastie, Zürich 1988, S.90-92.
  12. Papst Alexander VI., Foto von Cristofano dell’Altissimo, http://www.comune.fe.it/diamanti/mostra_lucrezia/quadri/q08.htm, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4587671, Zugriff am 22.06.2018.
  13. Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance, Hamburg 1979, S. 46.
  14. Territoriale Verhältnisse in Italien um 1494, von Italy 1494.svg: User:Shadowxfox; Abgeleitete Werke dieser Datei: User:Enokderivative work: Furfur – Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet: Italy 1494.svg:, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25374279, Zugriff am 22.06.2018.
  15. Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance, Hamburg 1979, S. 84-85.
  16. Foto von Lalupa, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=569341, Zugriff am 22.06.2018.
  17. Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der  Renaissance, Hamburg 1979, S. 85-87.
  18. Unbekannter Autor, http://theborgias.wetpaint.com/photos/album/161424/Juan%20Borgia/photo/11557814,
    Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16967721, Zugriff am 22.06.2018.
  19. Zitiert nach Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance, Hamburg 1979, S.  88.
  20. Pinturiccio: Fresko des betenden Alexander VI. in den Borgia-Appartements im Vatikan, 1492-1495, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=269722 Zugriff am 22.06.2018.
  21. Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance, Hamburg 1979, S. 87-90.
  22. Giovanni Bellini: Bartolomeo d’Alviano, um 1480, Foto von giuseppeborsoi.it, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8774159 Zugriff am 22.06.2018.
  23. Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance, Hamburg 1979, S. 88.
  24. Statue von Maria Enriquez de Luna in Gandia, Foto von Vicente Moratal Canales, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25269059 Zugriff am 22.06.2018.
  25. Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance, Hamburg 1979, S. 95.
  26. Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance,  Hamburg 1979, S. 100-101.
  27. Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance, Hamburg 1979, S. 103.
  28. Bradford, Sarah: Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance, Hamburg 1979, S. 128-131.
  29. Santi di Tito: Niccolò Machiavelli, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9578897 Zugriff am 22.06.2018.
  30. Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Stuttgart 2014, S. 71.
  31. John Collier: Ein Glas Wein mit Cesare Borgia, aus: Daily Telegraph, King Albert’s Book (London, 1914), S.152. Scan von Dave Pape, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2901952 Zugriff am 22.06.2018.

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