Hans Holbeins Karriere am englischen Königshof
England 1537. Ein Thronfolger wird geboren. Eine Königin stirbt. Ein Maler verhindert ein Verbrechen. Der Roman „Der Brautmaler“ von Helle Stangerup deckt eine chaotische Zeit der Herrschaft Heinrichs VIII. von England ab. Die Lebensgeschichte dieses Königs ist absolut seifenoper-würdig. Für die Scheidung von seiner ersten Frau hat er sich von der römischen Kirche losgesagt, nur um seine zweite wenig später köpfen zu lassen. Die dritte Gattin, Jane Seymour, brachte ihm endlich den ersehnten männlichen Erben zur Welt und trat nur 12 Tage später von der Weltbühne ab, weil sie am Kindbettfieber starb. Das ist das Szenario, in dem wir Hans Holbein das erste Mal begegnen.
Auf der Straße rettet er eine alte Bekannte, Margaret Roper, vor einem Meuchelmörder. Davon bleibt ihm das Tatwerkzeug – ein kunstvoll geschnitzter Dolch mit mysteriösen Symbolen. In den folgenden Jahren versucht er, dessen Besitzer ausfindig zu machen, während er selbst sich in den politischen Wirren zurechtfinden und als Maler behaupten muss. Der König ist auf der Suche nach seiner vierten Frau, und diesmal soll es wieder eine politische Ehe mit einer ausländischen Prinzessin sein. Cromwell, sein machtbewusster Sekretär, übernimmt die Mission, eine zu finden.
Der Maler wird dem Titel des Romans gerecht, als er quer durch Europa reist, um von Frankreich bis Dänemark die möglichen Kandidatinnen im Eilverfahren zu portraitieren. Zwischendurch muss er sich mit so lästigen Angelegenheiten wie seiner in Basel zurückgelassenen sauertöpfischen Ehefrau nebst Kindern, den unehelichen Sprößlingen in London und den Machtspielchen, in die er als Hofmaler verwickelt ist, herumschlagen.
Cromwell hat deutlich gemacht, dass er die Heirat mit Anna von Kleve verwirklicht sehen will, und der geachtete Künstler sieht sich in einer Zwickmühle. Wie stellt er die wenig vorteilhafte Prinzessin so dar, dass sie zwar dem König gefällt, er aber nicht der Verfälschung bezichtigt werden kann?
1. Aufstieg eines Künstlers
Es ist kein Zufall, dass Holbein damit beauftragt wurde, die möglichen Bräute zu verewigen. Bereits in seiner Jugend hatte er sein Talent in der Werkstatt des Vaters unter Beweis gestellt und sich als besonders fähig erwiesen, wenn es galt, indviduelle Gesichtszüge festzuhalten.1 In Basel, wo mit dem Humanismus eine offene, weltgewandte Geistesströmung florierte, machte er sich einen Namen.2 Finanziell hatte er sich durch die Heirat mit er jungen Witwe Elsbeth Schmid abgesichert.3 Seine Bekanntheit stieg, als er den berühmten humanistischen Gelehrten Erasmus von Rotterdam portraitierte, der ihn in seinen Kreisen wärmstens weiterempfahl.4 Oft heißt es, Holbein wäre 1526 nach England ‚geflohen‘, weil mit dem Einzug der Reformation in Basel kein Geld mehr mit religiösen Bildern zu verdienen gewesen war.5 Noch wichtiger war aber wohl die Aussicht, dort lukrative Aufträge an Land zu ziehen, weil Erasmus ihn seinem guten Freund Thomas More anbefohlen hatte.6
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In London, wo es viele Kaufleute aus deutschen Gebieten gab, hielt Holbein sich zunächst aus ihrer Gesellschaft heraus. Vielleicht befürchtete er, der Ketzerei verdächtigt zu werden, und mit Sicherheit lehnte Thomas More diese Kontakte ab.8 Von ihm malte Holbein ein Portrait, während er in dessen Haushalt in Chelsea lebte.9
Außerdem gibt es einen Entwurf für ein Gemälde von seiner gesamten Familie, das ein perfektes, harmonisches Bild zeigt. Nicholaus Kratzer, ein Freund der Familie und Astronom des Königs, schrieb die lateinischen Namen der Portraitierten auf.10
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Um 1528 stattete er seiner Heimat Basel einen kurzen Besuch ab. Das war nötig, um die Bürgerrechte dort zu behalten, außerdem sah er dort zum ersten Mal seine Tochter, die nach seiner letzten Abreise geboren wurde. Er kaufte der Familie ein Haus und malte sie, verließ sie aber direkt danach wieder.12
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Bei seiner Rückkehr traf Holbein in London auf eine sehr gewandelte Situation. König Heinrich hatte sich seit Jahren von seiner ersten Ehefrau scheiden lassen wollen. Nachdem der Papst, der für derlei Angelegenheiten ja zuständig war, diesem Wunsch leider nicht nachgeben konnte, nahm Heinrich die Angelegenheit selbst in die Hand (an Selbstbewusstsein fehlte es ihm nie) und erklärte sich kurzerhand zum Oberhaupt seiner eigenen Kirche, um seine heißgeliebte Anne Boleyn heiraten zu können.14
Sein neuer Sekretär Thomas Cromwell unterstützte die Reform, Holbeins Förderer More allerdings überhaupt nicht. Er konnte die Loslösung von Rom nicht mit seinem Gewissen vereinbaren und fiel in Ungnade (1534 sollte ihn sein Widerstand den Kopf kosten).15 Mit dem Gemälde „Die Gesandten“ bildete Holbein den Geist der Zeit ab. Die Instrumente zeigen die Neugierde und Gelehrsamkeit, aber auch die Unsicherheit, hervorgerufen durch politische und religiöse Umbrüche.16 Für die Zeitgenossen waren es mit Sicherheit wirklich turbulente Jahre.
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Hans Holbein suchte sich bei aller Treue zu seinem bisherigen Patron Alternativen. Er wandte sich der Boleyn-Fraktion zu und fertigte Portraits von Höflingen sowie Hanseaten und Kaufleuten an.18 Auch die Kulissen für die 1533 stattfindende Krönungszeremonie von Anne Boleyn entwarf Holbein.19
Er hatte sich also unter die Patronage der neuen Königin begeben und viele Personen aus ihrem engsten Umgangskreis gemalt. Unweigerlich kommt hier die Frage auf, ob er auch Anne selbst gemalt hat. Nichts, außer einer Skizze, deren Zuschreibung strittig ist, deutet darauf hin.20 Ein fertiges Gemälde wäre eine riesige Bereicherung, da Holbeins Portraits sehr realistisch und individuell aussehen und deshalb unschätzbare Einblicke in die Tudor-Zeit bieten. Ich jedenfalls finde es immer fantastisch, einer Person auch ein Gesicht zuordnen zu können.
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Ein eindrückliches Portrait zeigt Cromwell, der nach dem Fall Thomas Mores zur unbestrittenen rechten Hand des Königs wurde und Holbein die Stellung als Hofmaler des Königs verschaffte. Möglicherweise erschien es dem Sekretär nützlich, dass der Maler Kontakte sowohl zur Familie More als auch zu ausländischen Protestanten hatte.22
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2. Zwischen Schafott und Kindbett
1536 überschlugen sich die Ereignisse, die allein mehr als einen Blogbeitrag verdient hätten. In aller Kürze: Anne Boleyn (um die der König immerhin fast 10 Jahre lang gekämpft hatte) kam zu Fall, wurde des Verrates und Ehebruchs angeklagt und hingerichtet.24
Im selben Jahr zeichnete Holbein für den wohl langfristigsten Propaganda-Erfolg König Heinrichs verantwortlich. Er malte zuerst eine Miniatur und bald darauf das berühmte Portrait, das uns in zahlreichen Kopien erhalten ist.25 Der König erscheint hier überlebensgroß, kraftstrotzend, mächtig. Heinrich war körperlich wohl tatsächlich eine eindrucksvolle Erscheinung und größer als die meisten Zeitgenossen, doch nach einigen Stürzen vom Pferd litt er an verschiedenen Verletzungen am Bein und legte mit der Zeit stark an Gewicht zu. Seine Darstellung hier lässt zumindest keine Zweifel offen, wie er gesehen werden wollte.
Für Holbein war die Auftragslage günstig, auch wenn viele seiner Werke aus dem Jahr 1537 leider in späterer Zeit bei einem Brand zerstört wurden.26 Auch er selbst war wohl nicht ganz frei von Eitelkeit – bei einem kurzen Besuch in Basel soll er recht arrogant aufgetreten sein, und in London hatte er eine Mätresse und zwei Kinder, beschäftigte Lehrlinge und kaufte sich sogar ein Pferd.27
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Alles hätte komfortabel so weiterlaufen können, hätte nicht das Schicksal im Oktober 1537 erneut zugeschlagen. Hier setzt die Romanhandlung ein. Das Volk jubelt, weil Jane Seymour dem König einen Sohn geschenkt hat. Die Freude wird von ihrem plötzlichen Tod getrübt, und auch in Wirklichkeit sollte sie als eine blasse Erscheinung in die Geschichte eingehen, die nach Erledigung ihrer Pflicht einfach gestorben ist. Im Roman beschreibt Holbein sie wenig schmeichelhaft, und sein Portrait von ihr trägt dem Rechnung.
Er interessiert sich ohnehin viel mehr für Margaret Roper, der er auf der Straße das Leben rettet. Sie ist die Tochter von Thomas More und erinnert den Maler auf sehnsüchtig-schmerzliche Weise daran, was für eine glückliche Zeit er im Haushalt seines ersten englischen Förderers verbracht hatte. Er kann die Tatwaffe sicherstellen, einen mit mysteriösen Abbildungen versehenen Dolch, und versucht fortan herauszufinden, wer hinter dem versuchten Mord steckt.
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3. Die Humanistentochter
Material zu Margaret Roper findet sich hauptsächlich in Verbindung mit ihrem berühmten Vater, und tatsächlich ist es schwierig, sie unabhängig von ihm zu betrachten.30 Thomas More trat dafür ein, dass Frauen gebildet sein mussten, was eine fortschrittliche Position war, die ihn beispielsweise von seinem Freund Erasmus abhob. (Streng genommen sollten Frauen nur in den Genuss höherer Bildung kommen, um ihre Kinder ordentlich erziehen und ihren Ehemännern gute Gesellschaft bieten zu können, aber der Gedanke zählt…31)
Es war zwar nicht unüblich, dass adelige Mädchen und Frauen eine gute Erziehung genossen und Lesen und Schreiben lernten, aber eine umfassende humanistische Bildung, die denen gelehrter Männer nicht nachstand, konnten nur wenige für sich verbuchen. Dies kam in der Regel fast nur den Prinzessinnen zu.32 Damit war Margaret Roper eine Ausnahmeerscheinung. Sie beherrschte beispielsweise Griechisch und Latein virtuos und wurde von sämtlichen Gelehrten ihrer Zeit für ihre umfassende Bildung in den Bereichen Theologie und Philosophie geschätzt.33 Erasmus, von dem sie ein Werk übersetzte, sah in ihr gewissermaßen das Idealbild einer Frau.34
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Während Thomas Mores Gefangenschaft im Tower fungierte Margaret als dessen Sprachrohr. Nach der Hinrichtung war sein Kopf für einige Wochen aufgespießt auf der London Bridge ausgestellt gewesen, und sie bestach am Ende den Henker, um ihn herunterholen und würdig bestatten zu dürfen.36Ihr weiteres Leben verbrachte sie mit ihrem Ehemann William Roper (den sie mit ca. 16 Jahren geheiratet hatte) und ihren fünf Kindern37 und damit, das Andenken ihres Vaters für die Nachwelt zu bewahren.
Nach außen hin lebte „Meg“ Roper also als Privatperson, doch dabei ist zu bedenken, dass öffentliche Rollen für Frauen damals nicht vorgesehen waren (außer, sie waren zufällig Königin), sodass sie ihre Stimme stets nur indirekt erheben konnten. Auch zu Lebzeiten ihres Vaters war ihre Strategie, sich als unbedeutende Frau darzustellen, um nicht als offensiv politische Figur wahrgenommen zu werden.38
4. Eine neue Königin muss her
König Heinrich trauerte zwar um seine verstorbene Gattin (schließlich hatte sie durch ihren schnellen Tod keine Zeit gehabt, seinen Unmut auf sich zu ziehen), gleichzeitig setzte er Cromwell darauf an, eine neue, politisch günstige Heirat in die Wege zu leiten.39 Es war vollkommen normal, dass königliche Ehen aus politischen Gründen geschlossen wurden, Heinrich bestand aber darauf, die Zukünftige wenigstens vorher zu sehen. Da es weder Flugzeuge noch Fotos gab, wurde Holbein durch halb Europa geschickt, um im Eilverfahren Portraits von den Kandidatinnen anzufertigen. Der Hofmaler war bekannt dafür, realistisch und nicht beschönigend zu malen, weshalb er für diese Aufgabe gewählt wurde.40 Im Roman stehen seine offiziellen Aufträge stets seiner privaten Mission, der Aufklärung des Attentats, im Weg. Anstatt sich um die von ihm verehrte und fast verklärte Meg Roper zu kümmern, muss er eine potenzielle Braut nach der anderen besuchen.
Im März 1538 malte er Christina von Dänemark, und Heinrich „verliebte“ sich sofort in das Bild dieser stolzen und zugleich tugendhaften Frau.41 Problematischerweise war sein Ruf in Europa nicht mehr der beste, nachdem er die erste Gattin verstoßen und die zweite ermordet hatte, sodass die Ehe nicht zustande kam. Die erst 16-jährige Christina soll spöttisch gesagt haben, wenn sie zwei Köpfe hätte, würde sie einen davon dem englischen König zur Verfügung stellen.42
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Nachdem er, um einige französische Prinzessinnen zu malen, ohnehin in der Gegend war (weder ihre Portraits noch ihre Reaktionen auf Heinrichs Avancen sind überliefert), besuchte er erneut Basel, wo er inzwischen wie ein Star behandelt wurde.44 Eigentlich hätte er durch die lange Abwesenheit seine Bürgerrechte verlieren müssen, doch er konnte mit den Stadtoberen die Erlaubnis für zwei weitere Jahre in England aushandeln. Die Abmachung seiner Rückkehr erfüllte er nicht, und etwa zur selben Zeit verkaufte seine Frau das Gemälde von sich und den Kindern, was darauf hindeutet, dass ihr Verhältnis durch die lange Trennung massiv abgekühlt war.45 Immerhin brachte er seinen ältesten Sohn bei einem Goldschmied in Paris zur Lehre unter, zumindest auf materieller Ebene ging es der Familie relativ gut.46
4.1. Hat Holbein das Portrait manipuliert?
Nachdem noch immer keine Braut für Heinrich gefunden war, fasste Cromwell schließlich das kleine, aber strategisch gut gelegene und überdies dem Protestantismus nicht abgeneigte Herzogtum Jülich-Kleve-Berg ins Auge. Der Herzog hatte zwei Schwestern, und nachdem Heinrich den schmeichelhaften Berichten seiner Berater nicht traute, kam Holbein erneut als Brautmaler zum Zug.47 Bei Anna und Amalia von Kleve scheint es sich um angenehme, vielleicht durchschnittliche junge Frauen gehandelt zu haben, vielleicht nicht um herausragende Schönheiten.
Holbein griff vermutlich zu einem Trick: Während er Christina von Dänemark in betont schlichter Kleidung dargestellt hatte, um ihr Aussehen für sich sprechen zu lassen, scheint er im Falle der Kleve-Mädchen das Gegenteil versucht zu haben. Er konzentrierte sich auf den detaillierten Kopfschmuck und das prächtige Kleid und malte das Bild fast ganz symmetrisch, was ungewöhnlich für ihn war.48 (Anna von Kleve ist komplett frontal dargestellt, böse Zungen könnten also behaupten, dass sie von der Seite etwas weniger vorteilhaft ausgesehen hätte…)
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Es gibt zwei weitere Portraits, die ziemlich sicher Anna von Kleve zeigen und vor Holbeins Bild gefertigt wurden. Außer der fremdländischen Kleidung sieht sie nach heutigen Maßstäben eigentlich recht gut aus und entspricht zumindest nicht der beinahe entstellten alten Vettel, als die sie in manchen (älteren) Filmen oft dargestellt wird.50 (Ich finde sogar, dass sie auf dem zweiten Bild ein bisschen der Darstellung von Anne Boleyn ähnelt. Die galt zwar auch nicht als Schönheit, aber zumindest auch nicht als unterdurchschnittlich.)
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Heinrich allerdings soll seine Braut nach dem ersten Treffen wenig charmant als „flandrische Mähre“ bezeichnet und seinen Unmut unverhohlen geäußert haben. Blöderweise hatte er den Ehevertrag im Voraus unterschrieben und musste es noch einige Monate mit Anna aushalten, bis er sie loswerden konnte.53 Die arme Frau war wahrscheinlich zu Tode verängstigt und willigte praktisch sofort in die Scheidung ein. Eigentlich hatte sie damit den besten Deal von allen Frauen Heinrichs abgeschlossen – er war von ihrer Kooperationsbereitschaft so begeistert, dass sie mit Geld und Ländereien versorgt ihr restliches Leben unabhängig und wohlhabend in England verbringen konnte.
5. Cromwell auf dem absteigenden Ast
Es ist ein Mythos, dass Holbein wegen seines „irreführenden“ Bildes beim König in Ungnade fiel. Er malte immerhin im selben Jahr ein Portrait von Edward, dem kleinen Thronfolger.54 Wahrscheinlich war Heinrich eher von den Berichten seiner anderen Botschafter enttäuscht – heute würde er sie wahrscheinlich als Fake News bezeichnen…
Allem Anschein nach war Anna von Kleve nicht „hässlich“ (sofern man das objektiv feststellen kann), sondern eher unbeholfen und nicht besonders elegant. Holbeins Gemälde zeigt auch keinen besonders selbstbewussten Ausdruck von ihr, wahrscheinlich fand Heinrich also eher an ihrem Auftreten keinen Gefallen. Außerdem hatte ihm die Familie Howard, die die katholische Fraktion am Hof repräsentierte, ein junges Mädchen vor die Nase gesetzt. Catherine war die Cousine von Anne Boleyn, schaffte es aber, den König einzulullen und von seiner farblosen Frau abzulenken.55
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Von ihr gibt es ein (jedoch nicht gesichertes) Miniaturportrait, das von Holbein gemalt wurde und im Roman dazu dient, das Mädchen dem König schmackhaft zu machen.
Zur selben Zeit malte Holbein Thomas Howard, den Herzog von Norfolk. Man kann ihn wohl als kalt und machtbewusst beschreiben. Er hatte seine eigene Nichte Anne Boleyn bereitwillig zu Fall gebracht, um sich selbst aus der Schusslinie zu retten, und nun galt es, den reformnahen Emporkömmling Cromwell loszuwerden.57
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Obwohl der Sekretär im April 1540 noch zum Earl of Essex erhoben wurde, konnte der königliche Rat die Einstellung des Königs drehen. Mit Cromwell wurde Holbeins dritter Förderer (nach Thomas More und Anne Boleyn) verhaftet und wegen Hochverrates hingerichtet. Einige Monate später soll Heinrich die Howard-Fraktion beschuldigt haben, ihm den „treuesten Diener, den er je gehabt hatte“ genommen zu haben, was bei keinem anderen seiner Opfer überliefert ist.59 Ob er zumindest im Privaten auf die Idee gekommen ist, dass er auch selbst gründlicher hätte nachdenken können, anstatt seine persönlichen Vertrauten einfach zum Henker zu schicken, wissen wir leider nicht.
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6. Einsames Ende
Der Triumph der Howards sollte ohnehin nicht lange währen, denn nach weniger als zwei Jahren wurde Königin Catherine wegen Ehebruchs hingerichtet (in diesem Fall wohl nicht ganz unbegründet, die blutjunge Frau soll es an der Seite des alternden Königs mit der Treue nicht so genau genommen haben).61 Der Holbein im Roman grämt sich ordentlich, dass sein Portrait das Mädchen erst auf den König aufmerksam gemacht hatte.
In Wirklichkeit war das königliche Interesse wohl nicht auf ein Bild zurückzuführen, tatsächlich aber erlitt Holbein 1540 einige geschäftliche Rückschläge. Er blieb zwar königlicher Maler, aber da er keinen einflussreichen Fürsprecher mehr hatte, bekam er keine bedeutenden Aufträge mehr.62
Wohl im Herbst diesen Jahres ging er erneut nach Basel, und mit dem Tod seines Onkels machte er eine einträgliche Erbschaft, die das Auskommen der Familie endgültig sicherte.63 Anstatt sich nun wieder dort niederzulassen, kehrte er allerdings abermals nach England zurück. Wir wissen kaum etwas über sein Privatleben, und es ist möglich, dass die beiden Kinder, die er in London hatte, mehr als das Ergebnis einer kurzen Liebschaft waren, und dass er dort eine Art zweite Familie hatte, die ihm wichtiger war als die in Basel.64
Seine Gründe liegen letztlich im Dunkeln, doch obwohl seine berufliche Lage eher schlecht aussah, konnte er sich zumindest noch auf einige Kontakte am Hof stützen. In der Zwischenzeit – aus Langeweile oder weil er sein Image pflegen möchte – fertigte er einige Selbstportraits an, die ihn als selbstbewussten Mann darstellen. Ab 1542 stieg er wieder in der königlichen Gunst. Spätestens, als Heinrich seine sechste und letzte Frau, die wiederum dem Protestantismus zugeneigte Catherine Parr, heiratete, war Holbein wieder vorne dabei und durfte Miniaturen der königlichen Kinder malen.65
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Leider kam das Schicksal dazwischen. Am 7. Oktober 1543 schrieb er offenbar ein überstürztes Testament, wahrscheinlich, weil er überraschend krank geworden war. Möglicherweise starb er an der Pest, die zu der Zeit London heimsuchte, doch genau kann man es nicht rekonstruieren. Er starb anscheinend kurz nach dem Verfassen des Testaments, gerade, als er die Gunst des Königs wiedererlangt hatte.67
7. Rezension
Bei diesem Roman war der Klappentext relativ nichtssagend. Ich hatte ihn gebraucht gekauft, eher der Vollständigkeit halber, weil er in einer Zeitspanne handelt, die seltener bearbeitet wird (die meisten Tudor-Romane handeln von Heinrichs Beziehung zu Anne Boleyn oder von seiner Tochter Elizabeth). Ich hatte also keine zu großen Erwartungen. Vielleicht wurde ich genau deshalb ziemlich positiv überrascht!
Entgegen der Aufmachung geht es gar nicht so zentral um Anna von Kleve. Die Fahrten, die Hans Holbein in seiner Eigenschaft als „Brautmaler“ unternimmt, sind eher der Hintergrund. Während er diesen Verpflichtungen nachkommt, liegt sein persönliches Hauptinteresse darin, den mysteriösen Dolch zu untersuchen, um herauszufinden, wer Maragaret Roper nach dem Leben trachtete. Diese ganze Verschwörung ist in den Kontext der Ereignisgeschichte um Heinrichs Brautwerbung eingebettet. Das Ganze erfolgt zwar nicht so rasant wie in manchen historischen Krimis (etwa der großartigen Shardlake-Reihe von C. J. Sansom), hat mein Interesse aber dennoch gefesselt und der Geschichte größeren Reiz verliehen.
Wir wissen eigentlich relativ wenig über das Privat- und Innenleben von Hans Holbein, sodass sich hier die Möglichkeit bietet, eine interessante Rekonstruktion zu sehen. Es gibt auch kaum Biographien, die sich anstatt auf kunstwissenschaftlicher Basis mit ihm als Person befassen. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich viele Details aus dem Roman in der von mir benutzten Abhandlung von Derek Wilson wiedergefunden haben, vermutlich hat Stangerup ihn auch als Hauptquelle verwendet 😉
Geschildert sind die Ereignisse auf lebendige und liebenswerte Weise. Holbein wird als eine zugängliche Person geschildert, die ich gerne begleitet habe. Seine Maleraufträge sind interessant zu lesen, sie liefern eine Herangehensweise an die dargestellten Persönlichkeiten durch seinen Blick. Sein lakonischer, teilweise bissiger Humor und die ironischen Beschreibungen haben mich dabei oft zum Lachen gebracht. Auch viele andere historische Figuren werden in die Handlung eingebunden, etwa Philip Hoby oder Nicholaus Kratzer.
Gleichzeitig kann man sich gut vorstellen, in welchen Zwickmühlen sich der Maler wiedergefunden haben muss. Sein eigener Anspruch, die politischen Ambitionen seines Gönners Cromwell und die konkurrierenden Parteien am Hof standen oftmals im Gegensatz zueinander.
Auf der persönlichen Ebene wird immer wieder die Frage aufgeworfen, was eigentlich Heimat bedeutet, womit man sich identifiziert und was im Leben wichtig ist. Holbeins Zerrissenheit zwischen der Familie in Basel und seinem Leben in London wird deutlich. Er ist dabei nicht frei von Fehlern und wird sehr menschlich präsentiert, wie er seinen alten Sehnsüchten anhängt und gleichzeitig versucht, in die Zukunft zu blicken.
Auch die Details rund um den Alltag, sein Malerhandwerk und das Leben in der Stadt London werden charmant und gut recherchiert geschildert. Positiv finde ich außerdem, dass im Anhang eine ausführliche Bibliographie geliefert wird, die dazu einlädt, abseits der Fiktion weiterzulesen.
Mit „Der Brautmaler“ erhalten wir einen Roman, der zur Abwechslung mal nicht auf die Frauengeschichten von König Heinrich konzentriert ist. Nicht nur bietet Hans Holbein mit seiner wechselhaften Karriere eine interessante Hauptfigur, sondern ich war auch sehr fasziniert davon, dass mit Margaret Roper eine in der Romanlandschaft (zu Unrecht) vollkommen unterrepräsentierte Person auftritt. Nachdem ich das nicht erwartet hatte, konnte ich aus dem Buch viel mehr mitnehmen, als der Klappentext angekündigt hatte.
Wer sich also mit den Stars und Sternchen der Tudorzeit bereits auskennt, wird hier eine neue Perspektive aus einem sehr abwechslungsreichen Lebensumfeld finden. Die Hintergrundgeschichte zu kennen, kann zum Verständnis beitragen, aber Stangerup schildert die Ereignisse unkompliziert und zugänglich, sodass „Der Brautmaler“ auch für Neulinge geeignet ist.
Helle Stangerup: Der Brautmaler, erschienen im Jahr 2008 bei Droemer, 387 Seiten.
Leider konnte ich den Roman auf der Seite des Verlages nicht mehr finden, gebraucht ist er aber an verschiedenen Stellen noch erhältlich.
- Wilson, Derek: Hans Holbein. Portrait of an Unknown Man, London 1996, S. 28-30.
- Ebd., S. 37-55.
- Ebd., S. 74.
- Ebd., S. 82.
- Ebd., S. 113.
- Ebd. S. 125.
- Hans Holbein: Thomas More, ca. 1527, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=13466190, Zugriff am 16.07.2017.
- Wilson, Hans Holbein, S. 132.
- Ebd., S. 134-135.
- Ebd., S. 137-140.
- Hans Holbein: Skizze des Haushalts von Thomas More, ca. 1527, in: Stephanie Buck: Hans Holbein, Köln 1999, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5317198, Zugriff am 16.07.2017.
- Wilso, Hans Holbein, S. 148-150.
- Hans Holbein: Ehefrau Elsbeth und ihre Kinder, ca. 1528, in: Stephanie Buck: Hans Holbein, Köln 1999, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5316844, Zugriff am 16.07.2017.
- Ives, Eric: The Life and Death of Anne Boleyn. The Most Happy, Malden 112010, S. 162.
- Wilson, Hans Holbein, S. 181-183.
- Ebd., S. 197-199.
- Hans Holbein: Die Gesandten, 1533, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=22354806, Zugriff am 16.07.2017
- Wilson, Hans Holbein, S. 183-189.
- Ebd., S. 101.
- Ebd., S. 213-215.
- Hans Holbein: Skizze einer unbekannten Frau, möglicherweise Anne Boleyn, ca. 1530-36, aus http://www.royalcollection.org.uk/collection/912189/queen-anne-boleyn-c-1500-1536-on-the-verso-a-coat-of-arms-of-the-wyatt-family-and, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38073829, Zugriff am 16.07.2017. Ein wahrscheinlich authentisches Bild nach einem Original findet sich hier: >>klick<<
- Wilson, Hans Holbein, S. 219-222.
- Hans Holbein: Thomas Cromwell, aus: The Frick Collection, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=207764, Zugriff am 16.07.2017.
- Wilson, Hans Holbein, S. 237-238.
- Ebd., S. 242-243.
- Ebd., S. 248.
- Ebd., S. 249-250.
- Nach einem Original von Hans Holbein: Heinreich VIII., ca. 1540, aus: The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei. DVD-ROM, 2002, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=152992, Zugriff am 16.07.2017.
- Hans Holbein: Jane Seymour, ca. 1536, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=22189674, Zugriff am 16.07.2017.
- Goodrich, Jaime: Thomas More and Margaret Roper More: A Case for Rethinking Women’s Participation in the Early Modern Public Sphere, in: The Sixteenth Century Journal 39/4 (2008), S. 1021-1040, hier: S. 1022.
- Wagner, John A.: Bosworth Field to Bloody Mary: an encyclopedia of the early Tudors, Westport u.a. 2003, S. 380.
- Wagner, Bosworth Field to Bloody Mary, S. 130.
- Biographical Sketch of the Life of Margaret Roper, Daughter of Sir Thomas More, in: The Belfast Monthly Magazine 8/47 (1812), S. 463-467, hier: S. 467.
- Wagner, Bosworth Field to Bloody Mary, S. 380.
- Hans Holbein: Miniatur von Margaret Roper, ca. 1535, aus: Susan Foister, Holbein in England, London 2006, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5952591, Zugriff am 16.07.2017.
- Ebd., S. 381.
- Wagner, Bosworth Field to Bloody Mary, S. 380.
- Goodrich, Thomas More and Margaret Roper More, S. 1031-1040.
- Wilson, Hans Holbein, S. 252.
- Ebd., S. 254.
- Ebd., S. 255.
- Ebd., S. 256.
- Hans Holbein: Christina von Dänemark, Herzogin von Mailand, 1538, National Gallery, London, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=781179, Zugriff am 16.07.2017.
- Wilson, Hans Holbein, S. 256-257.
- Ebd., S. 259.
- Ebd., S. 259.
- Ebd., S. 262-263.
- Ebd., S. 264-265.
- Hans Holbein: Anna von Kleve, ca. 1539, Web Gallery of Art, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17285, Zugriff am 16.07.2017.
- Vgl. Hacker, Peter/Kuhl, Candy: A Portrait of Anne of Cleves, in: The Burlington Magazine 134/1068 (1992), S. 172-175.
- Hacker/Kuhl, Portrait of Anne of Cleves, S. 173, gemeinfrei.
- Ebd., S. 174, gemeinfrei.
- Wilson, Hans Holbein, S. 265.
- Ebd.
- Ebd., S. 266.
- Hans Holbein: Der spätere Edward VI. als Kleinkind, ca. 1538, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=21996743, Zugriff am 16.07.2017.
- Wilson, Hans Holbein, s. 266-267.
- Hans Holbein: Portrait einer Frau, möglicherweise Catherine Howard, ca. 1540, http://www.royalcollection.org.uk/collection/422293/portrait-of-a-lady-perhaps-katherine-howard-1520-1542, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38166687, Zugriff am 16.07.2017.
- Wilson, Hans Holbein, S. 267-268.
- Hans Holbein: Thomas Howard, 3. Herzog von Norfolk, ca. 1539, http://www.royalcollection.org.uk/collection/404439, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38168698, Zugriff am 16.07.2017.
- Wilson, Hans Holbein, S. 269.
- Ebd., S. 270.
- Ebd., S. 271-273.
- Ebd., S. 274.
- Ebd., S. 267-281.
- Hans Holbein: Selbstportrait, 1542 oder 1543, aus: Stephanie Buck, Hans Holbein, Köln 1999, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5263452, Zugriff am 16.07.2017.
- Wilson, Hans Holbein, S. 281-282.
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