Raffaels Leben im Zeichen von Kunst und Intrigen
* Dieses Buch wurde mir als Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt. Der Themenschwerpunkt meines Artikels und der Inhalt meiner Rezension bleiben davon unberührt.
Er ist einer der Stars der italienischen Renaissance und setzt bis heute Maßstäbe: Raffael. Vor ziemlich genau 500 Jahren starb er, am 6. April 1520. Zu diesem Anlass erschien Noah Martins historischer Roman „Raffael – Das Lächeln der Madonna“, der nicht nur dem Meister aus Urbino und seiner großen Liebe, sondern der ganzen Renaissance und der Schönheit der Kunst ein Denkmal setzt. Denn das kurze, glanzvolle Leben Raffaels war auch von Schattenseiten und Rivalitäten geprägt. Von beiden Seiten erzähle ich heute.
Die hier geschilderten biographischen Eckpunkte Raffaels kommen natürlich auch im Roman vor, ansonsten ist der Artikel spoilerfrei. Wer gar nichts vom Inhalt erfahren möchte: hier geht’s direkt zur Rezension.
1. Woher Raffael kam und wohin er ging
Der Roman beginnt mit einem Künstlersohn aus Urbino, der früh erwachsen werden muss. Raffaele Sanzio verliert bereits in jungen Jahren seine Eltern, und die Feldzüge Cesare Borgias erschüttern seine Heimat. Er verdankt es seinem Talent, dass er nach Perugia gelangt und rasch an Aufträge kommt.
Auch der echte Raffael wurde bereits im Alter von 11 Jahren zum Waisenkind. Die Kunst allerdings war ihm in die Wiege gelegt worden: Der Vater des 1483 geborenen Raffael war Hofmaler am Fürstenhof von Urbino. Guidobaldo da Montefeltro und seine Gattin Elisabetta Gonzaga scharten Künstler, vor allem Literaten, um sich. Die Quellen legen nahe, dass Raffaels Vater mit seinen guten Kontakten den Grundstein für die Karriere seines Sohnes legte. Sehr viel mehr wissen wir über Raffaels junge Jahre nicht – wahrscheinlich erbte er die Werkstatt des Vaters und setzte seine Ausbildung nach dessen Tod fort, während ein Mitarbeiter die Werkstatt leitete.1
Raffael in Umbrien
Den ersten großen Auftrag, den Raffael wohl gemeinsam mit dem älteren Mitarbeiter Evangelista di Pian di Meleto ausführte, erhielt er mit 17. Das Altarbild San Nicola da Tolentino ist heute nur noch in Fragmenten erhalten, sorgte aber dafür, dass Raffael weitere Aufträge in der Region bekam. Diese weisen große Ähnlichkeit mit den Werken des Meisters Pietro Perugino auf, an dem sich Raffael orientierte – möglicherweise arbeiteten sie gemeinsam in Peruginos Werkstatt in Perugia.3
Der einstige Brotherr von Raffaels Vater, Guidobaldo da Montefeltro, war indes aus Urbino vertrieben worden. Cesare Borgia, der Sohn des Papstes Alexander VI., versuchte, sich in Italien ein eigenes Territorium zusammenzuerobern und machte auch vor Guidobaldo, dem einstigen Verbündeten, nicht halt. Ob sich das auf Raffaels Situation unmittelbar auswirkte, wissen wir nicht. Mehr über die Machenschaften von Cesare Borgia und die politische Rolle des Papstes in der damaligen Zeit gibt es in meinen Artikeln über die Borgia zu lesen.
Lehrzeit in Florenz
Im Roman zieht Raffael seinen Aufträgen hinterher und flüchtet gleichzeitig vor den privaten Enttäuschungen, die er erleben musste. Es verschlägt ihn auch nach Florenz, wo er einen weiteren Grundstein für seine Karriere legt. Nicht zuletzt lernt er von einem berühmten Mann, keinem geringeren als Leonardo da Vinci.
Es war wohl auch seiner professionellen Neugierde geschuldet, dass Raffael im Jahr 1504 nach Florenz ging, eines der Zentren der Renaissance – das allerdings durch die Vertreibung der Medici und die Herrschaft des Mönches Savonarola bereits eine Zäsur erfahren hatte. Als Raffael sich mit einem Empfehlungsschreiben aus Perugia bewarb, war Piero Soderini das Staatsoberhaupt der Republik Florenz. Er wollte die Stadt zu ihrer ehemaligen kulturellen Blüte zurückführen und engagierte für die Gestaltung des Saales der 500 im Rathaus von Florenz Leonardo da Vinci UND Michelangelo – vielleicht in der Hoffnung, dass die Rivalität der beiden Meister sie zu Hochformen anstacheln würde.5 Wie dieses monumentale Projekt ausging, erfährt man ebenfalls im Roman von Noah Martin.
Der Überbringer dieses Schreibens ist der Maler Raffael aus Urbino, der in seinen Übungen gutes Talent beweist und sich entschlossen hat, einige Zeit in Florenz zu verweilen, um zu studieren. Und so wie sein Vater ein sehr tugendhafter Mann war […], ist auch der Sohn ein rücksichtsvoller und liebenswürdiger Jüngling; bei allem Respekt ist er mir sehr lieb, und ich wünsche, dass er zur Vervollkommnung gelangt.6
Besonders von Leonardo da Vinci erhielt Raffael wohl einige Inspiration, wie seine Werke aus der Florentiner Zeit nahelegen. Zunächst hielt er sich mit kleinformatigen Andachtsbildern über Wasser, bevor er unter den Kaufleuten größere Auftraggeber an sich binden konnte. Einer davon war Agnolo Doni, der von sich und seiner Frau Maddalena ein Doppelportrait anfertigen ließ. Dass die Komposition von Maddalenas Bild Ähnlichkeiten mit der Mona Lisa aufweist, ist unschwer zu erkennen. Raffael bewegte sich in dieser Zeit zwischen Perugia und Florenz, und die Auftragslage wurde immer besser.7 Erst durch seinen Aufenthalt in Rom allerdings wurde er endgültig zum Star.
2. Raffael, der Shootingstar
An Arbeit mangelt es Raffael auch in Noah Martins Roman nicht, aber allmählich stößt er in Florenz an eine gläserne Decke. Die Heiligenbilder und Patrizierportraits langweilen ihn, er will mehr sehen, mehr entdecken, seine Kunst perfektionieren. Was käme ihm da gelegener als ein Ruf nach Rom? Immerhin kommt die Einladung vom Heiligen Vater persönlich.
2.1. Ein Papst mit Kunstgeschmack
Rodrigo Borgia und sein Clan gelten als besonders dekadentes Beispiel für das sogenannte Renaissance-Papsttum. In einigen Punkten zu Unrecht verunglimpft, ist es wahr, dass die Päpste in jener Zeit eher weltlichen Herrschern glichen und der Kirchenstaat auch militärisch in der Politik mitmischte. Giuliano della Rovere, später Papst Julius II., war zeitlebens der vielleicht erbittertste Gegner des Borgia-Papstes, bediente sich selbst aber ganz ähnlicher Mittel und agierte eher als Feldherr denn als geistlicher Führer.9
Wenn die Kirchenoberhäupter der damaligen Zeit eines verstanden hatten, dann war es die Öffentlichkeitsarbeit, und zwar mit allen verfügbaren Medien: Kunst, Architektur und Veranstaltungen. Ihm verdanken wir die Ausmalung der Sixtinischen Kapelle, die von Raffael ausgemalten Stanzen im päpstlichen Palast und der zu seinen Lebzeiten begonnene Neubau des Petersdomes. Wer sich also heute in Rom auf eine Sightseeing-Tour begibt, kommt an Julius II. kaum vorbei – und auch an Raffael nicht.
Von den Stanzen in den Petersdom
1508 erhielt Raffael von Julius II. die Berufung nach Rom, und er zögerte nicht, dieser zu folgen. Vielleicht hatte ihn Bramante empfohlen, der ebenfalls aus Urbino stammte und den gerade begonnenen Neubau der Peterskirche betreute. Raffael, der noch immer ein Neuling war, der sich zumindest beweisen musste, erhielt den Auftrag, eine Wand der päpstlichen Gemächer (genannt „Stanzen“) im Apostolischen Palast zu bemalen. Und ganz offensichtlich bestand er die Probe, denn er und seine Gehilfen wurden mit insgesamt vier Gemächern betraut, die bis heute als Stanzen des Raffael bekannt sind. Solche monumentalen Werke waren meistens Gemeinschaftsarbeiten, bei denen der Künstler die Komposition erstellte, aber die unwichtigen und einfachen Bildteile von seinen Gehilfen und Lehrlingen ausführen ließ.11
Besonders bekannt ist vielleicht das Fresko Schule von Athen, das die Gelehrsamkeit und den Humanismus in Szene setzt – schließlich war die Antike eine der wichtigsten Inspirationsquellen für die Kultur und Bildung der Renaissance. Darin verewigte sich der junge Künstler, wie in vielen anderen Bildern, auch selbst: Raffael ist mit schwarzer Kappe auf der rechten Seite, halb hinter der Säule, verborgen. Im linken Vordergrund verewigte er, vermutlich erst nachträglich, eine andere Person: Der Denker im violetten Mantel, der auf einen Steinblock gestützt etwas schreibt, ist vermutlich kein geringerer als Michelangelo13, und das Verhältnis zu diesem Meister gestaltete sich eher schwierig.
2.2. Die Rivalität zwischen Raffael und Michelangelo
Während Raffael im Roman eigentlich gerne guten Kontakt zu Michelangelo pflegen würde, um von seiner Expertise zu lernen, ist der missgünstige ältere Maler der Quell fast allen Übels für den jüngeren Künstler. Michelangelo fürchtet den Neid, aber auch das Talent des jungen Aufsteigers. Deshalb tut er alles, um ihn auszustechen und seine eigene Position zu festigen…
Es ist immer heikel, die Persönlichkeiten von Menschen mit Jahrhunderten Abstand zu beurteilen, aber es muss eine schwierige Situation gewesen sein: Michelangelo war als kauziger Einzelgänger, der sich nicht viel aus Äußerlichkeiten machte, bekannt und legte sich sogar mit Julius II. höchstpersönlich an, wenn er es für angemessen hielt. Dagegen war Raffael jung, aufstrebend und leutselig – und in Sachen Talent konnte vielleicht nur er Michelangelo das Wasser reichen.
Die beiden arbeiteten nicht weit voneinander entfernt im Vatikan. Raffael malte an den Stanzen, Michelangelo an dem Mammutprojekt der Sixtinischen Kapelle. Das wurde ihm gewissermaßen von Julius II. aufgeschwatzt (zum Glück!) und war wegen des Tonnengewölbes, das eine perspektivische Verkürzung der Figuren notwendig machte, ein anspruchsvolles Unterfangen. Viel lieber hätte Michelangelo sich der Bildhauerei, namentlich dem Grabmal für den Papst, gewidmet. Offenbar war er der Meinung, Raffael und Bramante hätten beim Papst gegen ihn intrigiert, in der Hoffnung, er würde an der Decke der Kapelle scheitern. So schrieb er in einem Brief: „All der Zwist zwischen Papst Julius und mir wuchs aus dem Neid von Bramante und Raffael von Urbino.“15
Ob das stimmt? Raffael wird zwar überall als ausgesprochen sanftmütig und umgänglich beschrieben, aber er war mit Sicherheit auch ein guter Netzwerker und auf sein Fortkommen bedacht. Von da Vinci hat Raffael allerdings bereitwillig gelernt und war an künstlerischem Austausch interessiert. Michelangelo war nachweislich ein schwieriger Charakter. Wer wirklich gegen wen intrigiert hat, bleibt ein Stück weit spekulativ, aber Freunde wurden die beiden zeitlebens nicht. Es stimmt wohl auch, dass Raffael – ähnlich wie im Roman – mit dem Maler Sebastiano del Piombo zunächst befreundet war, dieser sich dann aber mit Michelangelo ‚zusammentat‘; vielleicht, um Raffael um Aufträge zu bringen.16 Und mit dem Deckengewölbe der Sixtinischen Kapelle übertrumpfte Michelangelo den jungen Raffael vorerst, obwohl auch der nach wie vor gute Aufträge und viel Lob für die Stanzen erhielt. Bald allerdings wurden im Vatikan zwei sehr wichtige Positionen frei.
Die erste war der Stuhl Petri selbst: Julius II. starb 1513 und wurde von Leo X. beerbt, einem Medici-Sprössling, dem die Kunstförderung ebenfalls ein wichtiges Anliegen war. Leo war lebenslustig und gab eine Menge Geld aus. Es ist vielleicht kein Wunder, dass der Beginn der Reformation in sein Pontifikat fällt. „Gott hat uns die Papstwürde gegeben, also genießen wir sie“, soll er gesagt haben. Ob das Zitat stimmt oder nicht, für die Künstler war die päpstliche Lebensfreude eine gute Sache, denn sie waren ordentlich beschäftigt.
Der zweite „Job“ wurde 1514 mit dem Tod Bramantes vakant, nämlich der des Baumeisters für den neuen Petersdom. Und den erhielt Raffael. Ob Michelangelo ebenfalls auf den Posten spekuliert hatte? Raffael jedenfalls ging die Arbeit nicht aus und er wurde wenig später auch noch zum Antikenbeauftragten der Stadt Rom ernannt – sozusagen zum obersten Denkmalpfleger.18
Natürlich produziert er abseits dessen noch viele weitere Werke, etwa die Sixtinische Madonna und das Portrait von Leo X. mit zwei Kardinälen. Aber wie sah es eigentlich in seinem Privatleben aus?
3. Raffael und „La Fornarina“
Im Roman ist die Antwort eindeutig, denn es gibt nur eine einzige Frau, der das Herz des Künstlers gehört. Wir erleben nicht nur Raffaels Werdegang, sondern auch die Geschichte von Margherita. Beiden ist klar, dass ihre Liebe unmöglich ist, und dennoch kämpfen sie darum – mit ungewissem Ausgang.
Raffael wird als angenehme und höfliche Person beschrieben, und wir können annehmen, dass ihm die römische Damenwelt zu Füßen lag. Und zumindest seine Bilder zeigen uns, dass Raffael auch etwas für schöne Frauen übrig hatte. Einige seiner beeindruckendsten Frauengemälde haben erstaunlich ähnliche Gesichtszüge, sodass manche Forscher davon ausgehen, dass die selbe Frau dafür Modell gesessen hat. Doch – falls das stimmt – wer war sie?
Ein Frauenheld?
Raffael hat wenige schriftliche Werke hinterlassen, die uns einen Einblick in seine Persönlichkeit geben könnten. Den Ruf als Frauenheld verdankt er Giorgio Vasari, der um die Mitte des 15. Jahrhunderts die Lebenswege der berühmten Renaissancekünstler beschrieb. Längst nicht alle von ihm geschilderten Begebenheiten und Anekdoten aber sind Tatsachen, und so dürfen wir auch bezweifeln, dass Raffael wirklich als Folge seiner sexuellen Verausgabung so plötzlich verstorben sei. Vor allem, weil Erotik, sinnliche Musen und künstlerische Schöpfungskraft bereits in der Renaissance eng zusammengehörten und idealisierten Künstlern ebenso freisinnig zugeschrieben wurde wie die Melancholie.19
Wir wissen also schlichtweg nicht viel über Raffaels Verhältnis zu Frauen, in einem erhaltenen Sonett allerdings beklagt er sich über eine unglückliche Liebschaft:
Süß ist’s den Ansturm zu erinnern in Gedanken,
Doch bitterer den Abschied, da sie ging.“20
Allerdings versuchte er offenbar, eine Heirat zu vermeiden. 1514 schlug ihm sein Onkel eine Ehe mit einer jungen Frau aus Urbino vor, worauf Raffael anmerkte, „dass er es bisher ganz gut ohne eine Ehefrau ausgehalten habe und außerdem zu Vermögen gekommen sei“21 – eine Anspielung darauf, dass eine reiche Gattin vor allem finanzielle Vorteile gehabt hätte. Er weist in dem Schreiben an seine Familie auch darauf hin, dass der einflussreiche Kardinal Bernardo Dovizi da Bibbiena, der auch im Roman eine tragende Rolle spielt, Raffael die Hand seiner Nichte angeboten hat. Das war eine große Ehre und bezeugt das Ansehen, das er mittlerweile in Rom genoss. Zum Eheglück kam es aber nicht, da „der Künstler diese Eheschließung tatsächlich offenbar so lange hinauszögerte, bis die keusche Verlobte Maria Bibbiena schließlich kurz vor deren Vollzug starb“22.
Vielleicht, weil sein Herz (das bei Eheschließungen in der Renaissance ohnehin keine wirkliche Rolle spielte) anderweitig vergeben war? Zumindest von einer möglichen Gefährtin von Raffael kennen wir nämlich den Namen.
Ewige Treue
Die Frau, die Raffaels Geliebte gewesen sein soll, ist Margherita Luti, und sie wird gleich mit zwei Gemälden des Meisters in Verbindung gebracht: La Velata und La Fornarina.
Fornarina bedeutet „kleine Bäckerin“, und der Titel des zweiten Bildes ist eine spätere Zuschreibung. Allerdings ist aus Raffaels Umfeld ein aus Siena stammender Bäcker bekannt, der Francesco Luti hieß. Hatte seine Tochter ein Verhältnis mit Raffael? Zwei kleine Details in den Frauengemälden geben einen Hinweis darauf. Beide tragen am Kopfschmuck eine kleine Perle. Der lateinische Name dafür ist margarita.24 Die Menschen in der Renaissance liebten solche winzigen Symbole und Bedeutungen; es ist also möglich, dass Raffael hier einen Hinweis auf die Identität des Modells gegeben hat. Die Frau auf dem freizügigeren Bild, die Fornarina, trägt zudem einen Armreif, auf dem Raffaels Name steht. Vielleicht wollte er damit eine besondere Nähe, gar eine Art Besitzergreifung, ausdrücken. Vielleicht sah er aber auch nur eine Gelegenheit, seine Signatur unterzubringen.
Ein weiterer Hinweis wurde erst 2005 bei einer Röntgenuntersuchung entdeckt. Es handelt sich um einen kleinen Rubinring an der linken Hand der Fornarina, der zuvor übermalt gewesen war. Für den Kunsthistoriker Bernardelli Curuz ist das ein weiteres Indiz dafür, dass die beiden verheiratet waren – und zwar heimlich. Denn es hätte Raffaels guten Ruf gefährdet, für eine so unstandesgemäße Beziehung die Hand der Kardinalstochter Maria Bibbiena auszuschlagen. Deshalb, so die Schlussfolgerung, hätten seine Gehilfen oder Schüler nach seinem Tod das Symbol der heimlichen Ehe verschwinden lassen. Vier Monate nach Raffaels Tod trat eine Witwe namens Margherita, die sich als Sieneser Bäckerstochter auswies, in einen römischen Konvent ein.26
Ob die Geschichte stimmt, wissen (wie so oft) nur die Beteiligten mit direkter Gewissheit. Amélie Ferrigno sieht in den beiden Portraits beispielsweise Francesca Ordeaschi abgebildet, die (ebenfalls) unstandesgemäße Geliebte und Ehefrau von Agostino Chigi. Der war ein steinreicher Bankier aus Siena, der sich in Rom niedergelassen hat und Raffael jenseits des Vatikans förderte. Der Künstler malte viele Fresken in dessen Villa (heute heißt sie Villa Farnesina). Hier kam übrigens auch wieder die Spannung zwischen Raffael und Sebastiano del Piombo zum Tragen, denn während Raffael für ein Fresko die betörende Nymphe Galatea gestaltete, musste sich Sebastiano mit dem Motiv eines „zotteligen Zyklopen“ begnügen.27 Es ist jedenfalls durchaus möglich, dass Chigi Raffael damit beauftragte, seine geliebte Francesca abzubilden und die späte Ehe (die gegen den Willen der restlichen Familie Chigi erfolgte) zu verewigen.
Aber ich gebe zu, die Vorstellung, dass es sich bei der geheimnisvollen Frau um Raffaels Partnerin handelt, macht viel mehr Spaß! Und auch in Bezug auf Raffaels Aufträge bei Agostino Chigi weiß Vasari immerhin eine Frauengeschichte des Malers zu erzählen: Seine (namentlich nicht genannte) Liebschaft hätte Raffael davon abgehalten, die Fresken in Chigis Villa in ordentlichem Tempo anzufertigen, sodass der Bankier die Frau schließlich in Raffaels Nähe wohnen ließ, damit er sich wieder auf die Arbeit konzentrieren konnte…28 Ihr dürft gespannt sein, was Noah Martin in seinem Roman aus all den Gerüchten und Möglichkeiten gemacht hat.
Jenseits der Behauptung, er sei an den Folgen seiner amourösen Exzesse gestorben, gibt es übrigens auch eine viel handfestere Erklärung für den plötzlichen Tod des Künstlers mit nur 37 Jahren. Möglicherweise hatte er sich bei der Begehung antiker Ruinen, für die er ja verantwortlich war, mit Malaria angesteckt. Nach einigen Tagen und vermutlich wenig hilfreichen Aderlässen hauchte der Künstler im April 1520 sein Leben aus, und der Legende nach soll der Papst weinend an seinem Totenbett zusammengebrochen sein. Vasari schreibt später, „auch die Malerei hätte gleich mitsterben wollen, als dieser menschliche Gott die Erde verließ.“30
Es ist nicht einfach, Raffaels Leben von all den Legenden, so dick aufgetragen wie Ölfarbe, zu befreien. Die Beschäftigung mit ihm lohnt sich aber – ob aus Sicht der Historiker oder der des historischen Romans von Noah Martin. Übrigens war es mir wegen der Corona-Krise leider nicht mehr möglich, die aktuellste Biographie über den Künstler, „Raffael – Glaube, Liebe Ruhm“ von Ulrich Pfisterer (2019) zur Recherche einzusehen. Ich bin mir aber sicher, dass sich die Lektüre sehr lohnt und werde den Artikel, wenn möglich, irgendwann mit Erkenntnissen daraus anreichern.
4. Rezension
Wer opulente historische Romane mag, kommt an „Raffael“ nicht vorbei: Es handelt sich um ein enorm gutes Debüt. Ich hoffe, dass Noah Martin der Renaissance und ihren Geschichten noch eine Weile treu bleiben wird, denn mit dem Roman konnte ich ganz wunderbar in meine Lieblingsepoche eintauchen. Seine Sprache ist atmosphärisch, aber nicht überladen, und der Ton den handelnden Personen angemessen, die aus ganz verschiedenen Schichten kommen. Denn es geht bei Weitem nicht nur um Raffael und Margherita, auch wenn alle Fäden bei den beiden zusammenlaufen. Wie man an dem umfangreichen Personenverzeichnis bereits erkennen kann, ist das Ganze vielmehr ein wahrer Reigen des illustren Renaissance-Personals! Wir lernen nicht nur die beiden anderen überragenden Künstler, Leonardo da Vinci und Michelangelo, kennen. Vom berüchtigten Cesare Borgia über Papst Julius II. und seinen Medici-Nachfolger Leo X. bis hin zum Schriftsteller Baldassare Castiglione tritt im Roman nahezu alles auf, was zwischen Rom und Florenz Rang und Namen hatte. Dazu kommen auch einige weniger vertraute historische Personen – warum bitte sehr kannte ich Felice della Rovere bis dato nicht?
Dadurch, dass mehrere Erzählstränge verfolgt werden, wird der Roman trotz der vielen Seiten nie langweilig und man gewinnt auch die Nebenfiguren lieb. „Raffael“ deckt die Geschehnisse einiger Jahre ab, und ich hätte mir manchmal sogar gewünscht, noch mehr von den Ereignissen zwischen den (notwendigen) Zeitsprüngen, mehr Alltagsleben und Gedankentiefe der Protagonisten zu erfahren – aber mir ist klar, dass das die Geschichte gesprengt hätte.
Auch so ist die Handlung ungeheuer bunt und reichhaltig. Ob Leichenöffnungen mit da Vinci, das Handwerk einer Malerwerkstatt, die Schlachtfelder der Italienischen Kriege oder rauschende Feste im Vatikan: Noah Martin schildert genau, lebendig und mit großer Sachkenntnis. Er zeigt dabei, wie nah sich äußerste Brutalität und ein unglaublicher Sinn für Schönheit in der Renaissance waren – etwas, das mich auch persönlich an dieser Ära besonders fasziniert. Ganz nebenbei lernt man bei der Lektüre viel über das soziokulturelle Gefüge der Zeit, wie Angehörige verschiedener Gruppen gestellt waren und wie sie alle verschiedenen Mechanismen folgen, um voranzukommen. Klientelbeziehungen waren damals besonders wichtig, und Martin beschreibt das Geflecht, in dem so viele Protagonisten irgendwie voneinander abhängen, auf famose Weise. Er macht die Figuren damit glaubhaft und die Handlung spannend.
„Raffael – Das Lächeln der Madonna“ ist ein ungemein gelungener Renaissance-Roman, den man auch nach 600 Seiten noch nicht zur Seite legen möchte. Über den Roman habe ich auch mit Katharina und Marvin vom Podcast Epochentrotter gesprochen.
Noah Martin: Raffael – Das Lächeln der Madonna, erschienen im März 2020 im Droemer Knaur Verlag.
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- Jürg Meyer zur Capellen: Raffael, München 2006, S. 7-8.
- Zeichnung von Raffael, möglicherweise Selbstbildnis, ca. 1499, Von Raffael, Web Gallery of Art, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4992338, Zugriff am 26.03.2020.
- Jürg Meyer zur Capellen: Raffael, München 2006, S. 14-20.
- Raffael, Selbstportrait, um 1506, http://nevsepic.com.ua/art-i-risovanaya-grafika/2409-raffaello-sanzio-rafael-santi-37-rabot.html, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35440864, Zugriff am 26.03.2020
- Jürg Meyer zur Capellen: Raffael, München 2006, S. 27.
- Empfehlungsschreiben für Raffael von Giovanna da Montefeltro an Piero Soderini vom 1. Oktober 1504, zitiert nach Jürg Meyer zur Capellen: Raffael, München 2006, S. 25-26.
- Jürg Meyer zur Capellen: Raffael, München 2006, S. 31-44.
- Raffael: Portrait der Maddalena Doni, 1505, The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH. ISBN: 3936122202., gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=157699, Zugriff am 26.03.2020.
- Bernward Schmidt: Julius II. – Der päpstliche Monarch, in: Jochen Sander (Hg.): Raffael und das Porträt Julius II. Das Bild eines Renaissance-Papstes, Frankfurt a. M. 2013, S. 9-24, hier S. 21.
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- Jürg Meyer zur Capellen: Überlegungen zum Bildnis des Papstes Julius II. von Raffael, in: Jochen Sander (Hg.): Raffael und das Porträt Julius II. Das Bild eines Renaissance-Papstes, Frankfurt a. M. 2013, S. 51-61, hier S. 53.
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- Raffael, Portrait von Leo X., 1518-1519, The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH. ISBN: 3936122202., gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=157703, Zugriff am 26.03.2020.
- Kia Vahland: Michelangelo und Raffael. Rivalen im Rom der Renaissance, München 2012, S. 141.
- Ulrich Pfisterer: Raffaels Muse – Erotische Inspiration in der Renaissance, Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 38.2012 (2014), S. 62-83, hier S. 64.
- Zitiert nach: Jürg Meyer zur Capellen: Raffael, München 2006, S. 119.
- Jürg Meyer zur Capellen: Raffael, München 2006, S. 79.
- Ulrich Pfisterer: Raffaels Muse – Erotische Inspiration in der Renaissance, Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 38.2012 (2014), S. 62-83, hier S. 63.
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- Amélie Ferrigno: Une nouvelle identification de la Fornarina de Raphaël. Le peintre, la belle et le banquier, Les Cahiers d’Histoire de l’art Nr. 11 (Oktober 2013), S. 7-17, hier S. 11.
- Raffael, „La Fornarina“, 1518/19, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=76749175, Zugriff am 26.03.2020.
- Der Originaltext von Bernardelli Curuz war mir leider nicht zugänglich. Über seine Erkenntnisse wird hier berichtet: Barbara McMahon: Art sleuth uncovers clue to secret Raphael marriage, The Guardian, publ. 18. Juni 2005. https://www.theguardian.com/world/2005/jun/18/italy.arts.
- Kia Vahland: Michelangelo und Raffael. Rivalen im Rom der Renaissance, München 2012, S. 152.
- Amélie Ferrigno: Une nouvelle identification de la Fornarina de Raphaël. Le peintre, la belle et le banquier, Les Cahiers d’Histoire de l’art Nr. 11 (Oktober 2013), S. 7-17, hier S. 10.
- Jean-Auguste-Dominique Ingres: Raffael und Fornarina, 1814, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=215503, Zugriff am 26.03.2020.
- Kia Vahland: Michelangelo und Raffael. Rivalen im Rom der Renaissance, München 2012, S. 166.
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