Schlechte Vorzeichen | Jean-François Parot: Commissaire Le Floch und das Phantom der Rue Royale *

Marie Antoinettes Heirat mit dem französischen Thronfolger

* Dieses Buch wurde mir als Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt. Der Themenschwerpunkt meines Artikels und der Inhalt meiner Rezension bleiben davon unberührt.

Fast jeder kennt das Ende von Marie Antoinette: Die Königin starb auf dem Schafott der Revolution. Dabei war sie zwanzig Jahre zuvor noch die Hoffnungsträgerin der Monarchie. Aber schon die Hochzeit der österreichischen Erzherzogin mit dem französischen Thronfolger im Jahr 1770 wurde von traurigen Ereignissen getrübt. Das junge Mädchen musste alles zurücklassen, fühlte sich in der neuen Heimat fremd. Und bei einer öffentlichen Feier für die Bürger kam es zu einer Massenpanik. Diese ist der Ausgangspunkt des Krimis von Jean-François Parot. Denn eines der vermeintlichen Opfer, eine junge Frau, wurde ganz eindeutig ermordet. Der Fall ruft Commissaire Le Floch auf den Plan.

1. Zwischen Wien und Paris

Nicholas Le Floch ist erwachsen geworden. Der illegitime Adelsspross, der lieber das Leben eines bürgerlichen Kommissars führt, hat Karriere gemacht. Er untersteht noch immer dem schrulligen Polizeipräfekten von Paris, Antoine de Sartine, und ist für die Sicherheit der königlichen Familie zuständig. Denn in der Hauptstadt ist ein großes Spektakel geplant: Der alternde König, Louis XV., verheiratet seinen Enkelsohn mit einer jungen Österreicherin, und das Volk soll an den Feierlichkeiten beteiligt werden.

1.1. Ein wichtiges Bündnis

In der Tat gab es gute Gründe, die Bevölkerung ein bisschen zu verwöhnen. Die Revolution kam 1789 schließlich nicht aus dem Nichts, und bereits 1770 war bisweilen ein unzufriedenes Murren zu vernehmen, die soziale Not in Paris zu spüren. Louis XV. hatte seine besten Jahre bereits hinter sich, und man war des einst als „der Vielgeliebte“ bezeichneten Königs überdrüssig. Der Siebenjährige Krieg (1756-1763) hat Frankreich in tiefe Schulden gestürzt. Seine Mätresse, Madame de Pompadour (wir haben sie im Artikel über den Roman „Die Philosophin“ kennengelernt), lebte nicht mehr. Zeit also, ein positives politisches Vermächtnis in Angriff zu nehmen.

Was machen zwei Nationen, die sich über Jahrhunderte feindlich gesinnt waren, nun aber zähneknirschend Frieden geschlossen haben? Sie besiegeln ihre Allianz mit einer dynastischen Heirat. Die Krönung der Verbindung Frankreichs mit dem habsburgischen Österreich war die Vermählung des Thronfolgers mit einer Erzherzogin.1 Wenn man schon einen Haufen Töchter hatte, konnte man diese wenigstens nützlich verheiraten. Die Habsburger hatten für diese Praxis sogar ein eigenes Motto:

Bella gerant alii, tu, Felix Austria, nube! – Kriege führen mögen andere, du, glückliches Österreich, heirate!

1.2. Eine Tochter Maria Theresias

In Wien hatte eine Frau die Hosen an: Maria Theresia. Offiziell war ihr Gatte, Franz Stephan von Lothringen, der römisch-deutsche Kaiser, faktisch aber führte sie die Regierungsgeschäfte. Nebenbei brachte sie in 19 Jahren 16 Kinder zur Welt, man kann sie also durchaus als Powerfrau bezeichnen. Sie hatte nicht nur ihren Thronanspruch (in Ermangelung von Brüdern) militärisch verteidigt, sondern auch ihren Ehepartner selbst ausgesucht. Ihre Kinder hatten jedoch weniger Glück und mussten sich der strategischen Heiratspolitik fügen.

Die österreichische Kaiserin Maria Theresia im Jahr 1759.
Maria Theresia im Jahr 1759. (Bildquelle2)

Der vorletzte Sprössling des Paares, Maria Antonia, wurde 1755 geboren und war damit nur ein Jahr jünger als der Dauphin (so wurden die französischen Thronfolger genannt) Louis Auguste. Nach zähen Verhandlungen wurde 1769 die Verlobung beschlossen. Nun erst bemerkte Maria Theresia, dass sie die Erziehung des Nesthäkchens ein wenig hatte schleifen lassen – obwohl sie gute Lehrer, etwa Christoph Willibald Gluck als Klaviermeister, angestellt hatte. Das Mädchen wurde zwar als aufgeweckt und gescheit beschrieben, war aber auch sprunghaft und unkonzentriert. Auch den Französischunterricht hatte es bislang vernachlässigt.3 Der zukünftige Schwiegervater sandte deshalb eilig einen eigenen Lehrer nach Wien, der urteilte:

Sie hat mehr Verstand, als man lange bei ihr vermutet hat, doch leider ist dieser Verstand bis zum zwölften Jahr an keine Konzentration gewöhnt worden. Ein wenig Faulheit und viel Leichtfertigkeit haben mir den Unterricht bei ihr noch erschwert.4

Marie Antoinette als Braut im Alter von 14 Jahren.
Marie Antoinette im Alter von 14 Jahren. Wahrscheinlich wurde dieses Portrait angefertigt, damit sich die zukünftige Schwiegerfamilie ein Bild von ihr machen konnte. (Bildquelle5)

2. Marie Antoinettes Brautfahrt

Das änderte aber nichts daran, dass die Braut, die künftig Marie Antoinette genannt wurde, ihre Reise nach Frankreich im Frühjahr 1770 antreten musste. Maria Theresia war von Anfang an besorgt, wie sich ihre Tochter machen würde. „Alle Augen werden auf Sie gerichtet sein, geben Sie deshalb keinen Anlass zu Ärgernis“6, gab sie ihr mit auf den Weg. Sie verfasste dafür sogar eine Art Denkschrift, die Marie Antoinette einmal im Monat lesen sollte. Als Spitzel diente der Botschafter Mercy, der der Kaiserin fortan alles berichtete. Bis zu ihrem Tod sollte sie die Tochter beraten und vor allem immer wieder ermahnen, ihre Rolle etwas ernsthafter zu leben. Zunächst aber galt es, die junge Braut in die neue Heimat zu bringen.

2.1. Eine pompöse Fassade

Die Erzherzogin war mit über 230 Begleitpersonen, fast 60 Kutschen und 250 Pferden7 (die ganz genauen Zahlen variieren) unterwegs, die Reise sollte 24 Tage dauern. Man kann sich vorstellen, was für ein Spektakel es für die Gemeinden und Städte gewesen sein muss, in denen sie vorbeikam. Aber auch eine Belastung, denn all diese Menschen und Tiere wollten untergebracht und verpflegt werden. Aber da man nicht alle Tage eine Erzherzogin und künftige Königin beherbergte, bemühten sich alle, gute Gastgeber zu sein. Auch in „meiner“ Stadt Freiburg machte Marie Antoinette Station, und das Beispiel zeigt den Aufwand, der dafür betrieben wurde, sehr gut.

Ihr Zug kam durch das Höllental entlang der heutigen Bundesstraße 31. An der Fassade des Hofgut Sternen erinnert ein Wandgemälde an diesen denkwürdigen Besuch (leider konnte ich bisher nicht herausfinden, wann es das erste Mal angefertigt wurde):

Wandgemälde am Hofgut Sternen im Höllental bei Freiburg, das Marie Antoinettes Brautzug zeigt.
Das Gemälde von Marie Antoinette im Höllental. (Bildquelle8)

Durch das Breisacher Tor, das heute zur Universität gehört, fuhr sie in die Stadt ein, die damals übrigens ein Teil von Vorderösterreich war. Hier hielt sie sich für zwei Nächte auf. Unter anderem wurde ein festlicher Gottesdienst im Münster veranstaltet, welches bei Dunkelheit sogar beleuchtet war. Außerdem wurden drei Ehrenpforten errichtet: Eine von den breisgauischen Landständen, eine vom Magistrat der Stadt und eine von der Universität.9 Hier zählte jedoch eher der schöne Schein, sie waren aus Holz und Stuck und überdauerten deshalb die Zeit nicht.

Ehrenpforte für Marie Antoinette in Freiburg im Breisgau.
Der Triumphbogen der Landstände, ungefähr am heutigen Bertoldsbrunnen aufgestellt. Im Hintergrund ist das Martinstor zu sehen. (Bildquelle10)

Freiburg war damals nicht besonders reich und das Stadtbild eher noch mittelalterlich. Trotzdem wurde versucht, ein herrschaftliches Bild zu bieten. Die Häuser mussten geweißelt werden, Straßen wurden neu gepflastert, und manch einer übte durchaus Kritik an den hohen Ausgaben, die dafür aufgewendet werden mussten.11

2.2. Verwandlung auf dem Rhein

Während der Vorbereitungen der Hochzeitsfeier wird in Paris eifrig jedes Detail diskutiert, das man über die Österreicherin erfahren kann. Insbesondere lässt man sich im Roman über die Ungeschicklichkeit aus, die Räume ihrer Unterkunft mit Wandteppichen geschmückt zu haben, die die Hochzeit von Medea und Jason zeigen. Schließlich hatte dieses Paar in der griechischen Mythologie ein denkbar schlechtes Schicksal!

Wenn die Tochter eines Kaisers den Sohn eines Königs heiratete, entstanden Protokollfragen, die es in sich hatten. Was wir heute als lächerlichen Pomp abtun, hatte im 18. Jahrhunderte große symbolische Bedeutung. Marie Antoinette, die bereits in feierlichem Schwur auf ihr österreichisches Erbe verzichtet hatte, musste sich in eine französische Prinzessin verwandeln. Diese Metamorphose fand auf einer unbewohnten Rheininsel in der Nähe von Kehl statt, also genau auf neutralem Boden zwischen ihrer alten und ihrer neuen Heimat. In einem eigens errichteten Pavillon musste sie sich splitternackt ausziehen und somit alles ablegen, was sie bisher ausgemacht hatte. Dann wurde sie in französische Stoffe eingekleidet, verabschiedete sich von ihrem Gefolge und übertrat die Grenze, wo sie von ihrem neuen Hofstaat begrüßt wurde. Was so eine Zeremonie mit einer 14-Jährigen macht, kann man daran erahnen, dass sich Marie Antoinette impulsiv in die Arme der Comtesse de Noailles, ihrer künftigen Hofdame, warf und zu weinen begann.12 Was für ein Schreck dieser Bruch des Protokolls gewesen sein muss… Übrigens wurde es tatsächlich als schlechtes Omen gewertet, dass in dem Pavillon Wandteppiche mit Darstellungen der Medea hingen. Dieses Detail kennen wir von niemand geringerem als Johann Wolfgang von Goethe, der gerade in Straßburg studierte und die Räume besichtigte.13

Nach einer mehr als dreiwöchigen Reise wurde die neue Dauphine schließlich in einem Wald bei Compiègne von ihrem Schwiegervater und ihrem Bräutigam empfangen. Wie die meisten Höflinge war auch der ältliche König sofort eingenommen vom natürlichen Liebreiz des jungen Mädchens. Für den Thronfolger, der schüchtern und zurückhaltend war, galt das weniger. Die Aussicht auf das Eheleben scheint Louis Auguste eher abgeschreckt zu haben.14 Dass die beiden charakterlich überhaupt nicht zusammenpassten, war für niemanden von Bedeutung.

Portrait Ludwigs XVI. von Frankreich im Jahr 1775.
Louis XVI. im Jahr 1775. Viele bemängelten seine „unkönigliche“ Haltung und seine plumpe, etwas schwerfällige Art. (Bildquelle15)

3. Die Hochzeitsfeier

Die feierliche Trauung fand am 16. Mai 1770 in Versailles statt. Wie üblich hatte es in Wien bereits eine sogenannte Stellvertreterhochzeit, eine Trauung per procurationem gegeben. So war die Ehe schon gültig, bevor sich die Brautleute das erste Mal begegneten – Louis Auguste war dabei von Marie Antoinettes Bruder vertreten worden!16 Dabei handelte es sich allerdings eher um eine Formsache, während bei der eigentlichen Hochzeit in Frankreich keine Kosten und Mühen gescheut wurden.

3.1. Nervöse Brautleute

Während ständig über die Unsicherheit des Bräutigams berichtet wird, darf man nicht vergessen, dass auch Marie Antoinette von all den Eindrücken in der Fremde ziemlich eingeschüchtert gewesen sein muss. Versailles glich einer riesigen Theaterbühne, in der jeder Handgriff von der höfischen Etikette orchestriert war – für natürliche Ungezwungenheit war in der verschwenderischen Prachtentfaltung kein Platz. Was für ein Kontrast zum Wiener Hof, wo es abseits der repräsentativen Aufgaben eher hausbacken und familiär zugegangen war.

Marie Antoinettes Nervosität kann man gut am Ehevertrag erkennen, der von der ganzen königlichen Familie unterzeichnet wurde. Die Unterschrift der Braut ist ungelenk und schief, offenbar war sie noch nicht daran gewöhnt, die französische Variante ihres Namens zu verwenden. Und zu allem Übel spritzte ihr ein großer Tintenklecks aufs Blatt – worin böse Zungen das nächste dunkle Vorzeichen sahen.

Die Urkunde mit der Unterschrift der Braut, die ganz klar daneben ging. (Bildquelle17)

3.2. Massenpanik beim Feuerwerk

Pompös gefeiert wurde natürlich vor allem in Versailles, aber auch das Volk sollte auf seine Kosten kommen. An die Armen wurde Nahrung ausgegeben, Brunnen spendeten Wein. An der Seine sollte ein Feuerwerk gezündet werden, und so drängte sich die Bevölkerung in den Straßen und auf der noch nicht ganz fertiggestellten Place Louis XV., um eine gute Sicht zu haben.

Die Lage der Place Louis XV. auf einem Stadtplan von 1763.
Die Place Louis XV. mit der angrenzenden Rue Royale auf einem Stadtplan des Jahres 1763. Nach dem Sturz der Monarchie in Place de la Révolution umbenannt, heißt der Ort inzwischen Place de la Concorde. (Bildquelle18)

Das Feuerwerk wurde wohl in China erfunden, kam aber in der frühen Neuzeit auch nach Europa. Zunächst im Militär eingesetzt, wurde es zunehmend auch für friedliche Spektakel genutzt. Die Herrscher begriffen schnell, wie beeindruckend das Feuer am Himmel war, und gerade in der Barockzeit wurde es deshalb zur Demonstration von Macht und Reichtum genutzt. 19

Zeitgenössischer Stich des Feuerwerks in Paris.
Das Feuerwerk an der Place Louis XV. – vor dem Unglück. (Bildquelle20)

Dabei war die frühe Pyrotechnik, ähnlich wie heute noch, buchstäblich ein Spiel mit dem Feuer. Immer wieder gab es Fehlzündungen oder Raketen auf Abwegen, die Brände und Verletzungen verursachten. Auch das Feuerwerk zu Ehren des Thronfolgerpaares sollte ein tragisches Ende nehmen. Die Wege, die das drängelnde Volk vom Platz wegführen sollten, waren von den zahlreichen Kutschen der Oberschicht versperrt. Für ausreichend Ordnungshüter hatte man nicht gesorgt. Es brach eine Panik aus, die dazu führte, dass Menschen zertrampelt und in die ungesicherten Baugruben gestoßen wurden. Der damals jugendliche Schriftsteller Louis Philippe de Ségur erinnert sich:

In Folge von Fahrlässigkeit […] waren tiefe Gräben am Eingang zur Rue Royale ohne Abdeckung geblieben, und die aus beiden Richtungen in der Rue St. Honoré zusammentreffenden Kutschen blockierten die Straßen so, dass es keine Möglichkeit gab, den Platz zu verlassen. […] In dem Durcheinander, das rasch zu einer Panik wurde, stürzten Menschen in die Gräben und wurden von anderen erdrückt, die auf sie fielen. Die Massen drängten in Wellen voran, drängten vorwärts und kämpften darum, dem Platz zu entkommen. Viele wurden zu Boden gestoßen und zu Tode getrampelt. Andere verkrallten sich ineinander, um sich einen Fluchtweg zu bahnen.21

Die Schätzungen über die Opferzahlen gehen auseinander, die Rede ist von bis zu 600 Toten. Das frisch vermählte Thronfolgerpaar war erschüttert, und Louis Auguste ließ sofort eine ganze Monatsapanage an den Polizeiminister übergeben, um Hilfe zu leisten. Dies brachte dem künftigen Königspaar große Dankbarkeit seitens der Bevölkerung ein.22 Die Pariser waren trotz der Tragödie noch voller Hoffnung, dass der spätere Louis XVI. ihnen ein fürsorglicherer und besserer König sein würde, als sein Vorgänger.

Von Behörden und Pelzhändlern

Auch im Roman sitzt die Bestürzung tief. Die Arroganz und Unfähigkeit der Behörden hat dazu geführt, dass das Großereignis nicht ausreichend abgesichert war. Nicholas Le Floch ist auf einem Dach postiert und muss hilflos mit ansehen, wie zuerst ein von einer fehlgeleiteten Rakete verursachtes Feuer und anschließend die Massenpanik ausbricht. Am nächsten Morgen inspiziert er die Leichen. Am Körper einer jungen Frau finden sich merkwürdige Würgemale, außerdem hält sie eine schwarze Perle in der Hand. Es ist eindeutig, dass hier ein Mord verschleiert werden sollte. Schnell fällt ihm auf, dass die Verwandten der jungen Frau, eine Pelzhändlerfamilie, kaum trauern, und dass in ihrem Haus allerlei mysteriöse Dinge vor sich gehen. Le Floch, der eine Vorliebe für unangenehme Fälle hat, schwatzt seinem Vorgesetzten Sartine die Erlaubnis ab, unter dem Deckmantel der Mordermittlungen nachzuforschen, wer für die Katastrophe der Massenpanik verantwortlich ist.

Der Dienstherr des fiktiven Commissaire, Antoine de Sartine, verdient Erwähnung. Der Polizeipräfekt ist Le Flochs direkter Vorgesetzter und ein humorvoller Kerl. Allerdings muss er manchmal unliebsame Strenge walten lassen, da er wiederum dem König politisch verpflichtet ist und dessen Interessen zu wahren hat. Ein ambivalenter, letztlich liebenswert dargestellter Charakter. Das trifft auch auf den echten Sartine zu, der aus dem Bürgertum stammte und zwar der Aufklärung zugeneigt war, trotzdem aber alle Umtriebe gegen den König verfolgte und unter Louis XVI. Marineminister wurde. Das in der Romanreihe wiederkehrende Motiv seiner beinahe fetischistischen Vorliebe für Perücken aller Art ist im Kern auch historisch überliefert.23

Antoine de Sartine, Polizeipräfekt von Paris.
Antoine de Sartine, der vielleicht lieber Friseur geworden wäre als Polizeipräfekt. (Bildquelle24)

Ebenfalls eine reale Figur ist Charles Henri Sanson, der Henker, der für Le Floch die Obduktionen der Leichen durchführt. Der Autor zeichnet auf berührende Weise nach, wie dieser eigentlich gutherzige und feinsinnige Mensch in seinem Schicksal gefangen ist, ein grausames Amt auszuüben. Denn damals war die Tätigkeit des Henkers so geächtet, dass die Söhne keinen anderen, ehrbaren Beruf ergreifen konnten. Die ungewollte Pflicht soll auch den echten Sanson sehr belastet haben. Und im Jahr der Romanhandlung wusste er noch gar nicht, dass er während der Revolution viele tausend Menschen hinrichten würde – auch das einstige Königspaar.

4. Ehe mit Hindernissen

Trotz der anfänglichen Beliebtheit von Marie Antoinette und ihrem Gemahl stand die junge Ehe unter keinem guten Stern. Alle Parteien bei Hofe versuchten, das unsichere Mädchen zu vereinnahmen, und in einem Streit mit der Comtesse du Barry, der Mätresse des alten Königs, verspielte Marie Antoinette beinahe dessen Gunst.25 Schlimmer noch wog die Tatsache, dass es geschlagene acht Jahre dauerte, ehe sich Nachwuchs einstellte (über das Schicksal ihres jüngsten Sohnes schreibe ich in diesem Artikel zu „Die Geheimnisse des schwarzen Turms“). Bis dahin wurde in ganz Europa diskutiert, was im königlichen Ehebett eigentlich passierte (beziehungsweise nicht passierte).

Marie Antoinette im Jahr 1775.
Gemälde wie dieses zeigen anschaulich, weshalb man der Königin vorwarf, sie würde das Geld nur so verschleudern – auch, wenn sie bei Weitem nicht die Einzige war, die das tat. (Bildquelle26)

1774 bestiegen Louis XIV. und Marie Antoinette den Thron, noch keine zwanzig Jahre alt. Der gutmütige, aber unentschlossene und politisch schwache König konnte die Probleme seines Landes mit den verfügbaren Mitteln nicht lösen, und Marie Antoinette zog es vor, sich in oberflächliches Vergnügen zu stürzen, anstatt sich die Not des Volkes bewusst zu machen. „Erst im Leid erkennt man, wer man wirklich ist“, soll sie am Ende ihres Lebens geschrieben haben. Als die Revolution schon in vollem Gange war, entwickelte sie sich zu einer verantwortungsbewussten, gestärkten Person. Doch es war zu spät, um die Hoffnungen, die man zwanzig Jahre zuvor in sie gesetzt hatte, noch zu erfüllen. Am 16. Oktober 1793 wurde Marie Antoinette auf der mittlerweile umbenannten Place de la Révolution enthauptet – am selben Ort, an dem 1770 zu ihren Ehren das verhängnisvolle Feuerwerk gezündet worden war.

5. Rezension

Das Cover des Romans "Commissaire Le Floch und das Phantom der Rue Royale" von J.-F. Parot.
Jean-François Parot: Commissaire Le Floch und das Phantom der Rue Royale, Blessing.

Das Rezensionsexemplar des neuen „Commissaire Le Floch“ habe ich nicht zufällig bei Bloggerportal erbeten, schließlich haben mir die ersten beiden Romane der Reihe bereits sehr gut gefallen. Deshalb bedanke ich mich herzlich für die Bereitstellung des Buches! Jean-François Parot versteht es auf ganz besondere Weise, das Paris des Ancien Régime, also der Zeit vor der Revolution, für seine Leser aufleben zu lassen.

„Das Phantom der Rue Royale“ spielt zehn Jahre nach den Vorgängern. Jedes der Bücher behandelt einen abgeschlossenen Fall, sodass sie unabhängig voneinander gelesen werden können. Ich würde sie trotzdem der Reihe nach empfehlen, damit man sich über das Wiedersehen mit den lieb gewonnene Elementen und Personen freuen kann. Sie alle sind detailliert dargestellt, viele von ihnen historisch belegt. Ich wäre dabei gerne nicht nur dem alternden König, seiner Mätresse und dem Dauphin, sondern auch Marie Antoinette persönlich begegnet. Ich hoffe, dass wir sie in einem der folgenden Bände kennenlernen werden. Einzig der Hauptfigur, dem Commissaire, könnte man vielleicht den Vorwurf machen, er sei ein wenig zu glatt, zu gutartig und zu erfolgreich geraten. Das macht aber nichts, denn das Le Floch-Universum hat noch viel mehr zu bieten.

Historische Ereignisse, wie die Hochzeit des Dauphins, bilden den Hintergrund für den Kriminalfall, außerdem erhalten wir Einblicke in die damalige Pariser Gesellschaft und lernen die verschiedenen sozialen Milieus kennen. Nicht nur mit dem Stadtbild hat sich der Autor eingehend befasst, er widmet auch der Alltagskultur viel Raum. Wenn Le Floch und sein Kollege Bourdeau irgendwo zu einem „bescheidenen Mittagsmahl“ einkehren (das meistens aus mindestens drei Gängen und einem großen Krug Wein besteht), deklamiert der Koch stets sorgfältig das Rezept für die Köstlichkeiten. Parot, der vor seiner Schriftstellerkarriere als Diplomat tätig war, aber eigentlich studierter Historiker ist, demonstriert in all den kleinen Details der Romane seine facettenreichen Kenntnisse und transportiert dabei eine Atmosphäre, die die Lektüre zu einem großen Vergnügen macht.

„Das Phantom der Rue Royale“ enthält also wieder alle Bestandteile des bewährten Erfolgsrezeptes. Die Ermittlungen verlaufen dieses Mal etwas weniger rasant und actionreich, dafür tauchen wir aber wieder tief in die Abgründe menschlichen Handelns ein. Die Auflösung des Verbrechens vollzieht sich wie üblich in einer genial inszenierten Beweisführung von Le Floch. Nur für einige übernatürlich erscheinenden Phänomene bleibt Monsieur le Commissaire in diesem Fall eine überzeugende Erklärung schuldig. Trotzdem kommt man als Leser voll auf seine Kosten. Mir haben das „Gesamtpaket Le Floch“ und der Streifzug durch das Paris des 18. Jahrhunderts wieder großen Spaß gemacht, und ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Teil, der im Juni erscheint. Übrigens finde ich auch die Gestaltung der Bücher wunderschön gelungen – schlicht, aber edel, und mit den Ausschnitten aus dem historischen Stadtplan (Plan de Turgot, 1736) auch sehr passend. Chapeau!

Jean-François Parot: Commissaire Le Floch und das Phantom der Rue Royale, erschienen 2018 bei Blessing, 448 Seiten.

>>Link zum Verlag<<

Wer generell mehr über das Paris zur Zeit von Le Floch und auch über die Arbeitsweise des Autors erfahren möchte, kann sich übrigens das kostenlose E-Book „Die Welt des Commissaire Le Floch“ herunterladen und in den unterhaltsam zusammengestellten Hintergrundinformationen schmökern.

***

  1. Haslip, Joan: Marie Antoinette. Ein tragisches Leben in stürmischer Zeit, München 1988, S. 9-10.
  2. Martin van Meytens: Maria Theresia, 1759, Buchscan, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=68471, Zugriff am 10.01.2019.
  3. Haslip, Joan: Marie Antoinette. Ein tragisches Leben in stürmischer Zeit, München 1988, S. 14-17.
  4. Abbé Vermond, zitiert nach: Zweig, Stefan: Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters, Frankfurt/Main 2007 [Erstveröffentlichung 1932], S. 16.
  5. Joseph Ducreux: Marie Antoinette, 1769, http://www.ladyreading.net/marieantoinette/index-en.html, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5012606, Zugriff am 11.01.2019.
  6. Verhaltungsvorschrift, jeden Monat zu lesen, 21. April 1770, in: Christoph, Paul (Hg.): Maria Theresia und Marie Antoinette. Der geheime Briefwechsel, Darmstadt 2017, S. 16.
  7. Kalchthaler, Peter: Triumphbogen in der Kaiserstraße, publ. am 03.05.2010 in der Badischen Zeitung, abrufbar unter http://www.badische-zeitung.de/freiburg-mitte/triumphbogen-in-der-kaiserstrasse–30509573.html, Zugriff am 16.01.2019.
  8. Unbekannter Künster, Foto von Flominator, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64918991, Zugriff am 16.01.2019.
  9. Mayer, Peter/Satron, Johann Andreas: Beschreibung der Feyrlichkeiten, welche bey Gelegenheit der Durchreise Ihrer Königlichen Hohheit der durchleuchtigsten Frau Dauphine, Marien Antonien, Erzherzoginn zu Oestreich, [et]c. von den Vorderöstreich-Breissgauischen Landständen veranstaltet worden, 1770, Digitalisat verfügbar unter: https://archive.org/details/beschreibungderf00maye, Zugriff am 16.01.2019.
  10. Von C. Ruf verfertigte Aufnahme des von Peter Mayr angefertigten Stiches – landständischen Festschrift, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64918598, Zugriff am 16.01.2019.
  11. Vergleiche hierzu auch Speck, Dieter: Marie Antoinette zieht in die Hauptstadt Vorderösterreichs ein, in: Pfanz-Sponagel, Christiane/Regnath, Johanna R./Schwendemann, Heinrich (Hgg.): Auf Jahr und Tag: Freiburgs Geschichte in der Neuzeit (Schlaglichter regionaler Geschichte 2), S. 67-86.
  12. Zweig, Stefan: Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters, Frankfurt/Main 2007 [Erstveröffentlichung 1932], S. 25-27.
  13. Haslip, Joan: Marie Antoinette. Ein tragisches Leben in stürmischer Zeit, München 1988, S. 23.
  14. Haslip, Joan: Marie Antoinette. Ein tragisches Leben in stürmischer Zeit, München 1988, S. 26-27.
  15. Joseph Duplessis: Louis XVI. de France, AllPosters.com, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5633254, Zugriff am 11.01.2019.
  16. Haslip, Joan: Marie Antoinette. Ein tragisches Leben in stürmischer Zeit, München 1988, S. 21.
  17. Heiratsurkunde von Marie Antoinette und Louis Auguste vom 16. Mai 1770, https://www.pinterest.de/pin/200058408418048155/, Zugriff am 16.01.2019.
  18. Ausschnitt aus dem Plan de Deharme von 1763, eigene Markierung, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17141425, Zugriff und Bearbeitung am 16.01.2019.
  19. Werrett, Simon: Fireworks: The Power of Pyrotechnics, in: History Today 60/11 (November 2010), S. 11-16.
  20. Druck von Basset, Bibliothèque nationale de France, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=26168809, Zugriff am 11.01.2019.
  21. Louis Philippe de Ségur, zitiert nach: Haslip, Joan: Marie Antoinette. Ein tragisches Leben in stürmischer Zeit, München 1988, S. 42-43.
  22. Haslip, Joan: Marie Antoinette. Ein tragisches Leben in stürmischer Zeit, München 1988, S. 43-44.
  23. Jean-François Parot / Blessing Verlag: Die Welt des Commissaire Le Floch. Leben und Sterben im Paris des 18. Jahrhunderts, E-Book, 2017, S. 21.
  24. Joseph Boze: Antoine de Sartine, scanned from a poster bought at the Musée Lambinet in Versailles, France, by w:User:Hardouin and uploaded to w:File:Sartine.png on 30 August 2006., Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3037319, Zugriff am 10.01.2019.
  25. Haslip, Joan: Madame Dubarry. Die märchenhafte Karriere der Jeannce Bécu, Mätresse am Hofe Ludwigs XV., München 2006, S. 75-80.
  26. Jean-Baptiste André Gautier-Dagoty: Marie Antoinette, 1775, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3872633, Zugriff am 11.01.2019.

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