Feminine Diplomatie | Marie Cristen: Der Damenfriede

Die Streitschlichterinnen von Cambrai

Wenn Zwei sich streiten, muss ein Dritter schlichten. Jedenfalls galt das für die zähen Verhandlungen, die 1529 im sogenannten Damenfriede von Cambrai ihren Abschluss fanden. Ein diplomatisches Meisterstück? Bemerkenswert ist jedenfalls die Besetzung. In der Rolle der Streithähne: Kaiser Karl V. und der französische König Franz I. In der Rolle der Schlichterinnen: Margarete von Österreich, des Kaisers Tante, und Louise von Savoyen, des Königs Mutter. Im historischen Roman „Der Damenfriede“ von Marie Cristen gibt es noch eine dritte Dame, Simona Contarini, die ungewollt zwischen die Fronten gerät. Wie kam es zu dem Krach zwischen Kaiser und König und dazu, dass es zwei Frauen waren, die den Karren ganz offiziell aus dem Dreck ziehen durften?

1. Männer mit Selbstbewusstsein

Simona, aus der ehrwürdigen venezianischen Kaufmannsfamilie Contarini, muss eine unglückliche Ehe ertragen. Als ihr Mann gewaltsam zu Tode kommt, wird sie von ihrer Familie nach Flandern geschickt. Dort soll sie, von ihrer Vorgeschichte unbelastet, einen neuen Ehemann finden. Doch auf dem Weg dorthin setzt sie sich in Frankreich ab. Eine Weile lebt sie in wilder Ehe mit dem Emaillekünstler Bernard Palissy, bevor sie in Begleitung eines Verwandten weiterzieht.

Ein Portrait von Bernard Palissy, der in "Der Damenfriede" aber noch deutlich jünger ist.
Der Künstler Bernard Palissy in späteren Jahren. (Bildquelle1)

Bernard Palissy ist eine historisch verbürgte Person: Er experimentierte mit verschiedenen Wissenschaften und schuf emaillierte Tonplastiken, die bis heute bewundert werden. Außerdem bekam er im katholischen Frankreich als Protestant immer wieder Probleme. Im Roman ist er noch jung, opfert sogar seine Möbel, um den Brennofen am Laufen zu halten. Das Zusammenleben mit ihm zeigt der privilegierten Simona vor allem, wie sich die große Politik auf die einfachen Leute auswirkt. Hohe Steuern, keine religiöse Toleranz, Kritik an den Herrschern wird bestraft. Im Spiel der Mächtigen zählt der Einzelne nicht. Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts war in Europa besonders von zwei Persönlichkeiten geprägt, Karl V. und Franz I. Ihre Rivalität war für einen Großteil der Kriege verantwortlich, die der Bevölkerung in jenen Jahrzehnten das Leben schwer machten. Habsburg und Frankreich sollten bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts Erzfeinde bleiben. Bevor es zu den Ereignissen geht, die wiederum zum Damenfriede von Cambrai führten, also eine kurze Vorstellung des Personals.

1.1. Karl V. – Herr eines grenzenlosen Reichs

Gemälde des Kaisers Karl V.
Karl V., Kaiser und Wannabe-Universalmonarch. (Bildquelle2)

Karl V. wurde als Erzherzog im Jahr 1500 in Gent geboren, seine Eltern waren Philipp der Schöne und Johanna die Wahnsinnige (die Beinamen sind wie immer wundervoll). Karl, Enkel von Maximilian I. von Habsburg und Maria von Burgund sowie mütterlicherseits Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón (genannt die „Katholischen Könige“3), erbte durch die Heiratspolitik dieser Dynastien gleich vier eigenständige Reiche: Aragón, Kastilien mit den neuen Überseegebieten, die habsburgischen Erblande in Österreich und die burgundischen Niederlande (grob: die heutigen Benelux-Staaten mit den Niederlanden). So konnte er zwar nur beinahe behaupten, dass in seinem Reich die Sonne niemals unterging, sein Einflussbereich war aber unbestreitbar groß. Das wichtigste politische Ziel allerdings war nach dem Tod Maximilians I. die Sicherung der Kaiserwürde für das Haus Habsburg. Der Anspruch darauf war keineswegs unumstritten. Nicht zuletzt dank einer kräftigen Finanzspritze der Kaufmannsfamilie Fugger, die unvorstellbare 800.000 Gulden lockermachte, konnte Karl die Stimmen der Kurfürsten 1519 jedoch einstimmig auf sich vereinen. Das Heilige Römische Reich allerdings ist nicht als geeintes Staatengebilde zu verstehen, sondern als Verbindung heterogener Territorien unter gemeinsamer, durch komplizierte rechtliche Bestimmungen geregelter Oberherrschaft. Das hielt Karl jedoch nicht davon ab, sich als Universalmonarch zu verstehen, der eine ordnende und christlich geprägte Vorherrschaft in Europa anstrebte. Da allerdings hatten die unzähligen anderen Herrscher und Fürsten der Frühneuzeit doch ein Wörtchen mitzureden.

1.2. Franz I. – Renaissancefürst mit Machthunger

Franz I., der sich für den Sexiest Man of Renaissance hielt. (Bildquelle4)

Franz I. oder François, der sich gerne als kultivierter Ritterkönig inszenierte, entstammte einer Nebenlinie des Hauses Valois und wurde kurz vor Karl, nämlich 1494, geboren. Er trat 1515 als König von Frankreich in die Fußstapfen seines Onkels Ludwig XII. Während er seinen Hofstaat kulturell zu einem Zentrum der Renaissance ausbildete und einige von Frankreichs schönsten Schlössern (etwa Fontainebleau oder Chambord) erbaute, waren die Italienischen Kriege bereits in vollem Gange. Dabei fochten Spanien (Habsburg) und Frankreich um die Vorherrschaft in Italien. Auch das war noch lange kein Einheitsstaat, sondern bestand aus verschiedensten Territorien, sodass in den Auseinandersetzungen zahlreiche Akteure – von der Republik Venedig über das Herzogtum Mailand bis hin zum päpstlichen Kirchenstaat – mitmischten und wechselnde Allianzen bildeten. Von diesen waren auch Margarete und Louise, um die es hier geht, direkt betroffen – lange, bevor der Damenfriede geschlossen wurde.

2. Zwei fähige Damen

Während eines Aufenthaltes in der Nähe von Paris begegnet Simona der Königinmutter Louise von Savoyen. Die ältere Dame ist angetan von Simonas Selbstbewusstsein und ihren flämischen Sprachkenntnissen, sodass sie als inoffizielle Übersetzerin und Beraterin in ihre Dienste tritt. Unter den misstrauischen Augen der Höflinge entwickelt sie sich zum Sprachrohr in einer wichtigen diplomatischen Angelegenheit: den Friedensverhandlungen mit den Habsburgern. Und zu deren Verhandlungsführerin wird eine alte Freundin von Louise erkoren – Margarete von Österreich.

2.1. Margarete von Österreich – Regentin, Mäzenin, Patentante

Margarete von Österreich und ihre Residenz in Mechelen habe ich in meinem Reisebericht schon vorgestellt. Sie war die einzige Tochter von Kaiser Maximilian I. von Habsburg und Maria von Burgund und damit die Tante von Karl V. Während ihre Eltern die Territorien „nur“ durch Heirat vereinigt hatten, trugen Margarete und ihr Bruder das Blut beider Dynastien in sich und waren somit erbberechtigt. Ihr selbst war jedoch kein Familiensegen beschieden. Noch als Kleinkind war sie nach dem Tod ihrer Mutter auf dem Papier mit dem ebenfalls noch kindlichen Karl VIII. von Frankreich (dem Vorgänger von Ludwig XII.) verheiratet und nach Frankreich gebracht worden.5 Als Mitgift heimste Frankreich übrigens das burgundische Kernland ein. Acht Jahre später heiratete Karl VIII. allerdings Anne de Bretagne – obwohl die eigentlich pro forma schon an Margaretes Vater Maximilian gebunden war. Man nennt diese Episode den „bretonischen Brautraub“. Hat noch jemand Fragen zum Thema Heiratspolitik? Margarete jedenfalls wurde, nachdem sie in Frankreich aufgewachsen war, verstoßen und (allerdings erst nach diplomatischem Tauziehen) zurück in die flandrische Heimat geschickt.6

Margarete von Österreich als junges Mädchen.
Die junge Margarete von Österreich. (Bildquelle7)

Ihr erster richtiger Ehemann wurde Juan von Aragón und Kastilien, der spanische Thronfolger. Es handelte sich um eine Doppelhochzeit, die die Herrschaftsallianz gleich zweifach absichern sollte. Zeitgleich wurden nämlich auch Margaretes Bruder Philipp und Juans Schwester Johanna miteinander vermählt. Anfang 1497 siedelte Margarete also zu ihrer Schwiegerfamilie nach Spanien um. Unglücklicherweise starb Juan noch im selben Jahr. Damit stand nicht nur Margarete ohne Mann, sondern auch die spanische Königsfamilie ohne direkten Erben da. Der Anspruch, den Margaretes Bruder durch seine Heirat mit Johanna erhielt, ebnete den Weg für die spätere Herrschaft seines Sohnes, Karl V.8

Zahlreiche Sterbefälle

Auch die zweite Ehe von Margarete endete tragisch. Sie und Philibert von Savoyen sollen einander sehr zugetan gewesen sein, allerdings starb auch er schon drei Jahre nach der Hochzeit an einem Fieber. Im zarten Alter von 24 Jahren war Margarete also zweifache Witwe und kinderlos. Karl V. dagegen wuchs quasi als Waise auf, denn sein Vater Philipp starb 1506, nach wenigen Monaten auf dem spanischen Thron. Seine Mutter Johanna (wir erinnern uns, „die Wahnsinnige“) stürzte daraufhin in Melancholie und geistige Umnachtung und wurde ihr restliches Leben lang in Tordesillas unter Bewachung festgehalten. Andere Meinungen dagegen besagen, dass sie lediglich aus machtpolitischen Gründen außer Gefecht gesetzt wurde…

Portrait von Margarete von Österreich in Witwentracht, Protagonistin im Roman "Der Damenfriede".
Margarete von Österreich als Witwe (Bildquelle9)

Margarete hatte jedenfalls genug vom Ehestand, und tatsächlich verlieh ihr das Witwendasein, das sie in allen folgenden Portraits und Darstellungen auch zur Schau stellte, mehr Eigenständigkeit und vor allem Unantastbarkeit als je zuvor. Deshalb setzte ihr Vater sie als Statthalterin der burgundischen bzw. habsburgischen Niederlande ein. Bereits in Savoyen hatte sie erstmals politische Luft geatmet, nun erwies sie sich als fähige Regentin. Zusätzlich zur Verwaltung ihres Territoriums hütete sie gewissermaßen die Kinderstube der Habsburger. An ihrem Hof zog Margarete ihren Neffen Karl V. und einige seiner Schwestern groß, aber auch die Sprösslinge ausländischer Adeliger. So hatte Margarete auch Anne Boleyn, als zweite Frau Heinrichs VIII. später Königin von England, in ihrer Obhut.

Einen Rückschlag musste sie 1515 hinnehmen. Karl V., mit dem sie sich zudem ein wenig überworfen hatte, wurde für volljährig erklärt und entzog ihr die Regentschaft über die Niederlande. 1517 wurde sie aber erneut Statthalterin – Karl, gerade erst König von Spanien geworden, hatte mit dem Kampf um die Kaiserwahl auch genügend eigene Sorgen. Und da unterstützte ihn Margarete tatkräftig. Bei der Krönung zum römisch-deutschen König in Aachen (sozusagen die Bestätigung seiner Wahl und Voraussetzung für die Kaiserkrönung) war sie an seiner Seite. Dass sie ihre politische Macht zurückgewonnen hatte, bewies Margarete in den Verhandlungen mit Louise von Savoyen, der einstigen Gefährtin.

2.2. Louise von Savoyen – Witwe, Königsmutter, Strippenzieherin

Portrait von Louise von Savoyen, Protagonistin im Roman "Der Damenfriede".
Louise von Savoyen in strenger Witwentracht. (Bildquelle10)

Louise wurde 1476 in Savoyen geboren. Als junges Mädchen am Hof des jungen Königs Karl VIII. kam sie ziemlich sicher mit der noch kindlichen Margarete von Österreich in Kontakt. Wir erinnern uns: Margarete war als Dreijährige nach Frankreich gekommen und symbolisch mit Karl verheiratet worden. Ob die beiden Mädchen allerdings, wie in Marie Cristens Roman, unzertrennliche Spielgefährtinnen waren und wie ihr Verhältnis in jenen Jahren aussah, können wir heute nicht mehr rekonstruieren. Zumindest begegnet sind sie sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach wirklich, bevor Louise 1488 verheiratet wurde, und zwar mit Charles, dem Grafen von Angoulême, aus einer Seitenlinie der Valois-Dynastie. Auch sie wurde mit knapp zwanzig Jahren bereits Witwe und konzentrierte sich fortan auf das Vorankommen ihrer beiden Kinder. Vor allem Franz war der Hoffnungsträger, denn als Ludwig XII. 1498 den Thron von Frankreich bestieg, konnte Louise berechtigterweise hoffen, dass er keine Kinder mehr haben würde. Das bewahrheitete sich 1515, als Franz seinem Onkel nachfolgte und seine Mutter Louise in den Rang einer Herzogin erhob. Bis zu ihrem Tod prägte sie die Politik ihres Sohnes maßgeblich und fungierte während seiner Feldzüge sogar offiziell als Regentin.

3. Von der Schlacht bei Pavia zur Liga von Cognac

Nachdem wir die (zugegebenermaßen etwas komplizierten) Zusammenhänge der Personalfragen geklärt haben, müssen wir uns jetzt noch dem Schlachtfeld zuwenden. Die Italienischen Kriege sind eine relativ verwirrende Episode (auch ich muss selbst nach x-facher Beschäftigung damit immer wieder Details nachlesen) – wir konzentrieren uns also auf die Ereignisse, die dem Damenfriede von Cambrai und damit dem Auftritt unserer beiden Diplomatinnen vorausgingen.

3.1. Krieg in Italien

Bereits vor dem Eintritt der beiden Großmächte Frankreich und Spanien war das Gleichgewicht der zahlreichen Territorien in Italien höchst fragil. 1454 schlossen die fünf größten „Player“, nämlich Venedig, Florenz, Mailand, Neapel und der Kirchenstaat, den sogenannten Frieden von Lodi. Damit war die Region zumindest für einige Jahrzehnte weitgehend befriedet. Die Italienischen Kriege begannen 1494 mit dem Einmarsch des französischen Königs Karl VIII. (was das für Florenz bedeutete, könnt ihr in diesem Artikel erfahren).

Karte, die das Italien der Renaissance zeigt.
Italien bestand um 1492 aus zerstückelten Territorien. (Bildquelle11)

Weshalb aber war Italien überhaupt so interessant, dass es zum Schauplatz des Hegemonialkrieges (oder eher „der Kriege“, die Auseinandersetzungen dauerten technisch gesehen von 1494-1559) wurde? Das hatte mehrere Gründe, allen voran kann man wohl die besonders im nördlicheren Teil florierende Wirtschaft nennen. Aber auch strategisch war die Halbinsel wichtig, vor allem als Barriere gegen das Osmanische Reich. Grund für den französischen Einmarsch von 1494 war insbesondere auch der Thronanspruch auf Neapel, welches allerdings später unter spanische Herrschaft fiel. Die Habsburger nämlich waren den italienischen Territorien zur Seite geeilt und sagten gegen diese Erweiterung ihres Einflussbereiches natürlich auch nicht nein.

Franz I. siegte direkt nach seiner Thronbesteigung 1515 bei Marignano und errang die Herrschaft über Mailand, was die Spanier zunächst akzeptieren mussten. Nach der Kaiserwahl 1519 vereinigte Karl V. aber Spanien, Österreich und die Ressourcen des heiligen römischen Reiches, sodass sich Franz einem schier übermächtigen Gegner gegenübersah – der Frankreich von zwei Seiten im Klammergriff hatte. Diese Rivalität wurde auf der italienischen Halbinsel weiter ausgefochten.

3.2. Zwischen Pavia und Madrid

Ausgerechnet am 25. Geburtstag von Kaiser Karl kam es in der Nähe von Pavia zu einer entscheidenden Schlacht. Nachdem es zunächst nach einem Vorteil für die Franzosen aussah, wurde Franz von den gegnerischen Truppen umzingelt. Viele der ranghöchsten Franzosen starben, insgesamt kostete die Schlacht auf beiden Seiten wohl mehr als 15.000 Leben. Und Franz I. wurde als Geisel gefangengenommen – eine große Demütigung für den Herrscher, der als roi chevalier, als Ritterkönig, gesehen werden wollte. Seiner Mutter Louise, die in Frankreich die Regentschaft übernahm, schrieb er, ihm sei nichts geblieben „als die Ehre und das Leben“12.

Die Schlacht bei Pavia, die bis zum Damenfriede von Cambrai nachwirkte.
Die Schlacht bei Pavia, 1525. (Bildquelle13)

Er wurde nach Spanien gebracht, wo sich Karl V. jedoch weigerte, dem Widersacher persönlich gegenüberzutreten. Erst ein Jahr nach der Schlacht schlossen Karl und Franz den Frieden von Madrid. Darin wurde die Freilassung des Königs vereinbart, allerdings sollten sich stattdessen seine beiden Söhne in die spanische Gefangenschaft begeben. Der jung verwitwete Franz verpflichtete sich außerdem, Karls Schwester Eleonora (die auch in Mechelen bei Margarete von Österreich erzogen worden war) zu heiraten. Weiterhin sollte Frankreich das Herzogtum Mailand, das Artois und die noch verbliebenen burgundischen und flandrischen Besitzungen an Karl abtreten. Selbst der Kanzler des Kaisers war mit dieser Vereinbarung nicht einverstanden. Franz widerrief den Vertrag, kaum, dass er auf freiem Fuß war, mit der Begründung, er sei unter Druck erwirkt worden. Wenige Wochen später flammten die Kämpfe in Italien bereits wieder auf, und zudem blieb das Problem, dass sich die beiden französischen Prinzen in der Hand der Spanier befanden. Eine Lösung musste her – der Damenfriede.

3.3. Die gefangenen Prinzen

Franz war während des einen Jahres seiner Gefangenschaft in Spanien gut behandelt worden (von der angekratzten Ehre einmal abgesehen), seine Mutter Louise hatte währenddessen die Regierungsgeschäfte gelenkt. Die Geiselhaft seiner beiden Söhne gestaltete sich allerdings weitaus dramatischer. Von 1526 bis 1530 blieben der Thronfolger Franz und sein jüngerer Bruder, der spätere Heinrich II., in Spanien, und die Haftbedingungen in verschiedenen Festungen sollen keineswegs rosig gewesen sein. Dabei muss man zudem bedenken, dass die beiden erst sechs und knapp fünf Jahre alt waren. Man kann sich vorstellen, dass eine solch prekäre Situation in früher Kindheit keine allzu positiven Auswirkungen auf die Gemüter der beiden Jungen hatte. Es ging beim Ringen um eine Einigung mit Karl also nicht nur um die (durchaus bedeutenden) Gebietsansprüche, sondern vor allem auch darum, die beiden Söhne, die Frankreichs Zukunft verkörperten, wieder nach Hause zu bekommen.

(Bildquellen14)

4. How to Damenfriede

Kaiser und König hatten einander herausgefordert, gedemütigt und bekämpft. Schon ihre Eitelkeit verbot es, gemeinsam an den Verhandlungstisch zu treten. Genau deshalb wurde der Friede zum Damenfriede, ausgehandelt von Margarete und Louise. Man könnte auch sagen, die Männer haben es verbockt, und die Frauen durften es ausbaden – der Damenfriede musste her. Es bedurfte natürlich weiterer diplomatischer Spitzfindigkeiten, schließlich aber wurde der Konflikt in die Hände der Damen gelegt, um, wie es Karls Offizier, Charles de Lannoy, ausdrückte „par leur intelligence, faire paix“15 – durch ihre Klugheit Frieden zu machen.

Im Roman steht Simona der Regentin Louise von Savoyen mit ihren Sprachkenntnissen und ihrer Unvoreingenommenheit zur Seite. Doch noch jemand spielt eine wichtige Rolle in der Politik: Paul von Andrieu, einer von Louises Beamten. Zu ihm entwickelt Simona ein ganz besonderes Verhältnis, welches droht, die Pläne der Regentin durcheinanderzubringen.

Der Damenfriede muss her

Als Schauplatz für den Handel wurde die Bischofsstadt Cambrai gewählt, die wahrlich eine Menge Leute zu beherbergen hatte: Sowohl Margarete von Österreich als auch Louise von Savoyen reisten mit einem standesgemäßen Hofstaat, vielen Beratern und zahlreichen Bediensteten an. Vor allem Margarete, deren frommer Aufzug als Witwe nicht mit Bescheidenheit verwechselt werden sollte, hatte einen guten Riecher für große Auftritte: Obwohl sie eigentlich recht knapp bei Kasse war, ließ sie ihr gesamtes Gefolge, inklusive der Pferde und Hofnarren, neu und kostbar ausstatten, um direkt beim Einzug in die Stadt zu demonstrieren, dass sie der französischen Fraktion überlegen war.16 Die beiden Damen residierten in zwei gegenüberliegenden Gebäuden: Margarete bezog die Abtei St. Aubert, und Louise richtete sich gemeinsam mit ihrer Tochter im Hôtel St. Pol. ein. Zwischen den Residenzen hatten sie eigens einen überdachten Gang errichten lassen, sodass Margarete und Louise einander ungesehen und vor allem ungezwungen treffen konnten.17

Der Damenfriede von Cambrai wird unterzeichnet, Gemälde aus dem 19. Jahrhundert.
Die Unterzeichnung des Damenfriedens von Cambrai in der Fantasie eines Malers aus dem 19. Jahrhundert. (Bildquelle18)

Natürlich wurde jede von verschiedenen Beamten und Beratern begleitet, und auch Karl und Franz wurden mittels Boten über die Entwicklungen unterrichtet. Mehr als drei Wochen dauerten die Verhandlungen, die Margarete und Louise größtenteils zu zweit führten. Ob die gemeinsam verlebte Zeit in der Jugend eine Rolle spielte, ist allerdings ungewiss. Sie könnte, so die Historikerin Ursula Tamussino, eines der wenigen persönlichen Bindeglieder zwischen den Frauen gewesen sein, denn „zu sehr unterschieden sie sich sonst in ihrer Wesensart, in ihren Ambitionen und ihrer Lebensführung“19. Wie auch immer es um ihre Zuneigung also bestellt war, beide verhandelten mit Ehrgeiz und Geschick, wobei Frankreich definitiv in der schwächeren Position war. Trotzdem machten beide Seiten Zugeständnisse. Habsburg verzichtete auf das burgundische Kernland, Frankreich verabschiedete sich von den Eroberungen in Italien. Unter dieser Voraussetzung wurde am 3. August 1529 der Damenfriede von Cambrai unterzeichnet. Er war vor allem für die Habsburger vorteilhaft, denn trotz des endgültigen Verlustes von Burgund konnte Karl V. die Vorherrschaft in Italien endgültig für sich verbuchen. Endlich konnte er dorthin reisen und sich, mehr als zehn Jahre nach seiner formellen Wahl, im Februar 1530 in Bologna vom Papst zum Kaiser krönen lassen. Der französische König aber konnte immerhin seine beiden Söhne, schwer gezeichnet von der spanischen Gefangenschaft, wieder in Empfang nehmen. Und seine neue Ehefrau, Eleonore, die Schwester des Kaisers – die, ganz nach frühneuzeitlicher Tradition, als Unterpfand für den Frieden dienen sollte.20

Fortune Infortune Fort Une

Der Damenfriede von Cambrai, ein „Triumph weiblicher Diplomatie über männliche Gewalt“21? So romantisch würde ich das Ganze nicht bewerten, denn das Abkommen hielt, wie viele jener Zeit, nicht besonders lang: Schon 1535 entbrannte der Krieg zwischen König und Kaiser erneut, als um die Erbfolge in Mailand gekämpft wurde. Auch Henri II., der Sohn und Thronerbe von Franz I., führte erbitterte Schlachten gegen Karl V. – sicherlich auch, weil er diesem das Leid, das er in der Gefangenschaft erlebt hatte, nicht verzieh. Dennoch halte ich die Episode rund um den Damenfriede von Cambrai für bemerkenswert, denn sie beweist, dass Frauen ganz im Rahmen ihrer eigentlich restriktiven Rollen Macht ausüben und sogar als diplomatische Geheimwaffe eingesetzt werden konnten. Für Margarete war der Friedensschluss definitiv der Höhepunkt ihrer politischen „Karriere“, und ein Historiker des 19. Jahrhunderts bezeichnete sie gar als „den wahrhaft großen Mann der Familie und Begründer des Hauses Österreich“22.

Statue von Margarete von Österreich in Mechelen, Belgien - weil der Damenfriede von ihr geschlossen wurde, wird sie bis heute gewürdigt.
Statue von Margarete auf dem Marktplatz von Mechelen. (Bildquelle23)

In der Tat konnte Margarete für sich verbuchen, nach den vielen persönlichen Rückschlägen ihrer Jugend aus eigener Kraft Bedeutung und Ansehen erlangt zu haben. Dafür steht auch ihr lateinischer Wahlspruch, FORTUNE INFORTUNE FORT UNE, gedeutet als „Im Glück und im Unglück stark allein“24. Lange auskosten konnte die Fünfzigjährige den Triumph von Cambrai, der in den habsburgischen Territorien mit Gedichten, Gottesdiensten und Ehrenmedaillen gefeiert wurde, allerdings nicht. Schon länger von Schmerzen im Bein geplagt, starb sie am 1. Dezember 1530 in Mechelen. In ihrem letzten Brief an Karl, den sie schon nicht mehr selbst niederschreiben konnte, diktierte sie selbstbewusst: „Ich lasse Euch Eure Länder hier, die ich während Eurer Abwesenheit nicht nur so bewahrt, wie Ihr sie verlassen habt, sondern bedeutend vermehrt habe“25. Und auch eine letzte Mahnung im Sinne ihres Lebenswerkes konnte sie sich nicht verkneifen: „Ich lege Euch besonders den Frieden ans Herz, vor allem mit den Königen von Frankreich und England.“26 Mit ihrem Tod verlor Karl nicht nur seine Tante, sondern auch eine bedeutende Diplomatin der Renaissance, an die man sich vor allem in ihrer Heimat Flandern bis heute sehr positiv erinnert. Louise von Savoyen starb übrigens nur ein Jahr nach der Kindheitsfreundin, im September 1531. Auch für sie war der Damenfriede von Cambrai also das letzte große Werk als Beraterin ihres Sohnes Franz I.

5. Rezension

Cover des Romans "Der Damenfriede" von Marie Cristen.
Marie Cristen, Der Damenfriede, Knaur.

Mit dem Damenfriede von Cambrai wählt Marie Cristen eine historisch sehr interessante Episode als Hintergrund für ihren Roman. Der Blick hinter die Kulissen und in die Gemächer der beiden Damen, die den Frieden verhandelten, verspricht Einblicke in die Gefüge der Macht. Die Intrigen, aber auch die Sorgen und Nöte, mit denen vor allem Louise von Savoyen vielleicht zu kämpfen hatte, werden dabei deutlich. Die Regentin wird, ebenso wie Margarete, vielschichtig und mit Ecken und Kanten, aber dennoch in positivem Licht dargestellt.

Sehr nachvollziehbar wird die Kluft zwischen dem königlichen Hof und dem Leben der einfachen Leute geschildert. Diese grundverschiedenen Lebenswelten hatten praktisch keine Berührungspunkte, und in «Der Damenfriede» bekommen wir zu sehen, zu welch gegenseitigem Unverständnis das führte. Für die Herrschenden waren die einfachen Leute wenig mehr als Material für die Armee, Steuerzahler und Arbeiter. Die Bevölkerung dagegen fragte sich, weshalb sie eigentlich all diese Kriege bezahlen sollte, wenn sie doch kaum ihre Kinder satt bekam.

Schön ist, dass Marie Cristen auch kleine Details ordentlich recherchiert hat und so beispielsweise Bernard Palissy eine Rolle erhält. Ich kannte seine Person vor dem Roman gar nicht und freue mich immer, wenn ich aus einer Geschichte etwas Neues lernen darf. So sind auch die vielen Hintergrundinformationen rund um die politischen Verhältnisse gut eingeflochten und lesen sich trotz des hohen Erläuterungsbedarfes nicht langweilig.

Gleichzeitig stehen neben der Politik, auf die die Protagonistin Simona aktiv einwirkt, die persönlichen Beziehungen im Vordergrund. Große Überraschungen gibt es bei der Liebesgeschichte rund um Simona allerdings nicht. Vor allem ist sie eine etwas zu typische Frauenfigur, wie sie oft in historischen Romanen vorkommt. Viel zu modern und emanzipiert, zumal ihr rasanter Aufstieg zur engsten Vertrauten der Regentin Louise mehr als unglaubwürdig ist. Die Ausgangssituation ist also nicht allzu nachvollziehbar, trotzdem entspinnt sich eine nette Geschichte.

Als Stärke des Romans würde ich tatsächlich weniger die fiktive Handlung nennen, sondern die Tatsache, dass mit dem Damenfriede ein Thema gewählt wurde, das ich in historischen Romanen bisher nicht gesehen habe. So erfüllt das Buch einen für mich sehr wichtigen Zweck: Es macht auf eine historische Begebenheit aufmerksam und weckt idealerweise Interesse dafür. Und wir lernen mal wieder, dass Geschichte eben auch in der frühen Neuzeit schon nicht nur von Männern geschrieben wurde – wer sich dafür interessiert, wird «Der Damenfriede» von Marie Cristen gerne lesen, muss allerdings darüber hinwegsehen, dass die Handlung außenrum relativ durchschnittlich ist.

Marie Cristen: Der Damenfriede, erschienen im April 2013 im Knaur Verlag.

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  1. Unbekannter Künstler: Bernard Palissy, Réunion de musées nationaux, Inventar-Nr. E.Cl.7732, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9106867, Zugriff am 21.10.2019.
  2. Juan Pantoja de la Cruz: Kaiser Karl V., nach einem Original von Tizian, um 1600, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16089, Zugriff am 25.10.2018.
  3. Diesen Ehrentitel erhielten sie vom Papst, nachdem sie 1492 die letzte Bastion der Araber auf der hispanischen Halbinsel erobert hatten. Ferner wiesen sie die Juden aus ihrem Reich aus und richteten die Spanische Inquisition ein.
  4. Jean Clouet: Franz I., 1927, Scan aus André Castelot, François Ier, Perrin 1999., gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=86971, Zugriff am 21.10.2019.
  5. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 25-32.
  6. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 37-41.
  7. Jean Hey: Margarete von Österreich, um 1490, diese Datei wurde als Teil des Partnerprojektes mit dem Metropolitan Museum of Art an Wikimedia Commons gespendet, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=57395420, Zugriff am 21.10.2019.
  8. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 56-66.
  9. Bernard van Orley: Margarete von Österreich, 1. The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH. ISBN: 3936122202.2. Royal Museums of Fine Arts of Belgium, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=156042, Zugriff am 26.10.2019.
  10. Jean Clouet: Louise von Savoyen, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=75007818, Zugriff am 21.10.2019.
  11. Territoriale Verhältnisse in Italien um 1494, von Italy 1494.svg: User:Shadowxfox; Abgeleitete Werke dieser Datei: User:Enokderivative work: Furfur – Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet: Italy 1494.svg:, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25374279, Zugriff am 22.06.2018.
  12. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 242.
  13. Ruprecht Heller, http://www.artfinder.com/work/the-battle-of-pavia-ruprecht-heller/, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15679262, Zugriff am 21.10.2019.
  14. Corneille de Lyon: Franz III. der Bretagne, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2635520, Zugriff am 22.10.2019, sowie Unbekannter Künstler: Henri II. als Kind, CC-BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=76065029, Zugriff am 22.10.2019.
  15. Zitiert nach:Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 255.
  16. Soisson, Jean-Pierre: Marguerite. Princesse de Bourgogne, Paris 2002, S. 204-205.
  17. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 256-257.
  18. Francisco Jover y Casanova: Tratado de Cambray, 19. Jhd., gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=60738310, Zugriff am 23.10.2019.
  19. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 257.
  20. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 257-261.
  21. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 257.
  22. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 9.
  23. Eigene Aufnahme von Lea Gerstenberger, fotografiert am 19.08.2019.
  24. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 10.
  25. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 266.
  26. Ursula Tamussino: Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995, S. 267.

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