Ausschnitt aus dem Cover "Katharina von Aragón" von Alison Weir

Eine fromme Kämpferin | Alison Weir: Katharina von Aragon

Die standhafte erste Königin von Heinrich VIII.

Ich wollte von Anfang an irgendwann über eins meiner historischen Lieblingsthemen, die Tudors, schreiben. Allerdings sind die Ereignisse so bekannt, dass ich es für überflüssig hielt. Andererseits – kann man von spannenden Themen je genug bekommen? Ich jedenfalls beschäftige mich regelmäßig wieder mit den bekannten Figuren rund um die Dynastie des 16. Jahrhunderts. Und praktischerweise verfasst die Autorin Alison Weir gerade nacheinander sechs Romane über die Ehefrauen von Heinrich VIII. Ein guter Anlass also, um sich der ersten zu widmen: Katharina von Aragon.

[Auch wenn Geschichte aus meiner Sicht ja keine Spoiler beinhaltet, deckt sich der Inhalt des Artikels natürlich sehr mit dem Roman. Hier geht es direkt zur >>Rezension<<]

1. Die Prinzessin aus Aragon

Catalina, knapp sechzehn, heiratet im Jahr 1501 den englischen Thronfolger Arthur Tudor. Wie immer zu jener Zeit stehen handfeste politische Interessen hinter der Ehe, und Catalina scheint perfekt für ihre Aufgabe. Doch sie hat Pech: Nach nur wenigen Monaten stirbt ihr junger Gatte und sie bleibt allein, hoffnungslos und schlecht versorgt in einem fremden Land zurück.

Katharina von Aragon hat den Großteil ihres Lebens in England verbracht. Es lohnt sich aber, einen Blick auf ihre Herkunft zu werfen, denn diese spanische Wurzeln sollten ihr Selbstverständnis und ihr Handeln bis zu ihrem Tod prägen. Ihre Eltern waren die sogenannten Katholischen Könige, Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien. Isabella war äußerst resolut und entschied selbst, dass sie Ferdinand heiraten wollte, worüber sie ihren Halbbruder, den König, lediglich informierte – nach der Eheschließung. Nach dem Tod des Bruders setzte sie sich gegen den Thronanspruch einer weiteren Halbschwester durch und wurde Königin, während Ferdinand fast zeitgleich die Krone von Aragon erhielt. Beide waren offiziell die Herrscher ihres jeweiligen Reiches und »teilten« sich die Kronen nicht, dennoch reagierten sie de facto das gemeinsam, was die Grundlage für das heutige Spanien werden sollte. So weist Patrick Williams darauf hin, dass der von der Geschichtsschreibung verliehene Beiname Katharina von Aragon eigentlich falsch ist, da Katharina in Kastilien geboren wurde und sie auch nur dort einen Anspruch auf den Thron gehabt und niemals »von Aragon« geheißen hätte. 1 Aber was sich einmal festgesetzt hat…

Katharina von Aragon
Katharina auf dem Höhepunkt ihres Ansehens (Bildquelle2)

In die aus Sicht der damaligen Zeit sehr erfolgreichen Regentschaft der beiden fallen einige bedeutende Ereignisse, die wir heute differenzierter bewerten müssen: Die sogenannte Reconquista („Rückeroberung“) wurde 1492 mit der Einnahme Granadas, der letzten muslimischen Bastion auf der iberischen Halbinsel, beendet. Darauf folgte die Ausweisung (oder Zwangskonvertierung) der Muslime und Juden aus Spanien. Ebenfalls auf Ferdinands und Isabellas Konto geht die Einrichtung der Spanischen Inquisition, die nicht-christliche Minderheiten rigoros verfolgte. Dafür erhielten sie 1494 den päpstlichen Ehrentitel »Katholische Könige«. Und natürlich sponserten sie auch die Expedition eines gewissen Christoph Kolumbus.

Die Tochter von Aragon und Kastilien

Die jüngste Tochter des Paares machte sich also 1501 auf nach England, um den Thronfolger Arthur zu heiraten, mit dem sie schon im Kindesalter verlobt worden war. Katharina war ein großartiger Fang für die junge Tudor-Dynastie: Heinrich VII. war der erste König der Linie, die am Ende der Rosenkriege die Krone errungen hatte. Dementsprechend musste sich die Herrschaft erst noch festigen. Die spanische Prinzessin brachte Prestige, blaues Blut und eine stattliche Mitgift mit sich. Die Hochzeit der beiden Teenager war dementsprechend ein Spektakel. Die Freude währte jedoch nicht lange. Kaum ein halbes Jahr später, die Jungvermählten hielten sich in Ludlow in Wales auf, starb Arthur und ließ Katharina als Witwe zurück.

Katharina von Aragon als junge Frau
Katharina als junge Frau. (Bildquelle3)

Damit steckte sie in einer prekären Situation. Theoretisch hätte sie nach Spanien zurückkehren und einen neuen Ehemann finden können. Doch erstens steckte ja eine politische Allianz hinter der Heirat, die Isabella und Ferdinand ebenso wie Heinrich VII. erhalten wollten. So kam schnell die Möglichkeit ins Gespräch, sie mit Arthurs kleinem Bruder, dem gerade zehnjährigen Heinrich, zu verloben. Und zweitens war Heinrich VII. ein ausgemachter Geizkragen, der sich die Mitgift unter den Nagel reißen wollte und – nachdem er selbst Witwer wurde – sogar überlegte, Katharina selbst zur Frau zu nehmen. Was folgte, war ein jahrelanges diplomatisches Gezerre, in dem Katharina beinahe die Rolle einer Geisel hatte. Sie konnte nicht nach Spanien zurückkehren, war aber wirtschaftlich ganz vom Wohlwollen Heinrichs VII. abhängig. Sie musste sogar Teile ihrer Aussteuer verpfänden, um sich und ihre wenigen Bediensteten versorgen zu können, ein standesgemäßes Leben wurde ihr auch seitens ihres Vaters, Ferdinand von Aragon, nicht ermöglicht. Berichte aus jenen Jahren erzählen von einer fast fanatischen Frömmigkeit, exzessivem Beten und Fasten und häufigen Krankheiten, die möglicherweise psychosomatischen Ursprungs waren. Was Katharina jedoch gewann, war politische Erfahrung. Denn zeitweise machte ihr Vater sie zur offiziellen Botschafterin, plötzlich saß Katharina im Vollbesitz eines diplomatischen Amtes mit ihrem (Ex-)Schwiegervater am Verhandlungstisch. Dennoch besserte sich ihre Situation erst 1509, als der neue König Heinrich VIII. Katharina heiratete, keine zwei Monate nach dem Tod seines Vaters.

Krönung von Heinrich VIII. und Katharina von Aragon
Die Krönung von Heinrich und Katharina auf einem zeitgenössischen Holzschnitt. Prominent hervorgehoben sind die Tudor-Rose und der spanische Granatapfel als Symbole der politischen Vereinigung. (Bildquelle4)

2. Die fast perfekte Königin

Die Hochzeit mit Heinrich ist ein Triumph für Katharina. Nicht nur kann sie endlich die für sie vorgesehene Aufgabe als Königin von England erfüllen, sie erhält auch alle Ehren und Annehmlichkeiten, die ihr zustehen. Und vor allem sind sie und Heinrich wirklich und wahrhaftig verliebt ineinander.

Was später auf ganz dramatische Weise wichtig werden sollte war, dass für die Eheschließung ein päpstlicher Dispens nötig war. Andernfalls hätte es nach kanonischem Recht als Inzest gegolten, dass Heinrich die Witwe seines Bruders heiratete. Solche Dispense waren damals allerdings an der Tagesordnung, bedenkt man die oftmals große verwandtschaftliche Nähe der Königshäuser. Lange Zeit schien also alles in bester Ordnung; Heinrich und Katharina waren einander zugetan und beim Volk beliebt. Katharina verhielt sich wie eine unterwürfige Ehefrau, mischte sich aber durchaus in die Politik ein und wusste, wie sie auf ihren Mann einwirken konnte, ohne ungebührlich zu wirken. Heinrich vertraute ihr und setzte sie während seiner Abwesenheiten bisweilen sogar als offizielle Regentin ein.

Katharina von Aragon füllt ihre Rolle gut aus

Während er auf einem Feldzug in Frankreich weilte, flammte ein Konflikt an der schottischen Grenze auf und Katharina organisierte einen Angriff. Bei der Schlacht von Flodden Field wurde der schottische König getötet, was für England einen triumphalen Sieg bedeutete, wichtiger als seine Errungenschaften in Frankreich. Selbstbewusst schrieb Katherine in einem Brief an Heinrich: »This battle hath been to your grace and all your realm the greatest honour that could be, and more than ye should win all the crown of France.« 5 Die blutige Kleidung des schottischen Königs schickte sie mit. (Romantisch, oder?!)

Heinrich VIII.
Heinrich, wie er um 1537 von Hans Holbein inszeniert wurde und sich wohl auch selbst gerne sah: als stattlicher Renaissancefürst. (Bildquelle6)

Die royale Ehe wäre also perfekt gewesen, wäre da nicht ein einziger, bedeutsamer Haken: Dem Paar fehlte ein männlicher Erbe. Zu jener Zeit war die medizinische Versorgung während der Schwangerschaft prekär, die Kindersterblichkeit hoch. Davon war auch das Königspaar nicht gefeit. Zwar war Katharina mehrfach schwanger, die Kinder kamen jedoch tot oder so schwach zur Welt, dass sie nicht überlebten. Womöglich trug auch Katharinas unregelmäßiges Essverhalten beziehungsweise das viele Fasten dazu bei. Ein kleiner Prinz, der 1510 lebend zur Welt kam, verstarb nach wenigen Wochen. Abgesehen von der dynastischen Problematik ist es kaum vorstellbar, wie schmerzhaft der Verlust so vieler Kinder für Katharina persönlich gewesen sein muss. Die mindestens sechs Schwangerschaften brachten nur eine einzige lebende Tochter, die 1516 geborene Mary, hervor.

Je älter das Königspaar wurde, desto dringlicher wurde die Frage nach einem männlichen Erben. Dabei war es auch damals kein völlig unmöglicher Gedanke, eine Tochter zur Thronfolgerin zu machen. Katharinas eigene Mutter galt schließlich als leuchtendes Beispiel für eine weibliche Herrscherin. Gerade in England aber hatte man große Vorbehalte: Es hatte im 12. Jahrhundert eine bislang einzige regierende Königin namens Matilda gegeben, die ihren Anspruch vehement (wenngleich erfolglos) verteidigte. Dies wurde in der Folge als Negativbeispiel für die Herrschaft einer Frau ausgelegt, welche England in einen verheerenden Bürgerkrieg gestürzt hätte. Die Annahme, dass eine weibliche Thronfolgerin es schwerer haben würde, war also durchaus berechtigt. Zumal diese ja für den Fortbestand der Dynastie ebenfalls heiraten müsste, was ein noch größeres Problem darstellte: Eine Ehe mit einem ausländischen Herrscher würde England de facto einem anderen Reich einverleiben, und eine Ehe mit einem Untertanen wäre sowohl unstandesgemäß als auch, angesichts der vielen konkurrierenden Adelsfamilien, sehr heikel.

Tragischerweise begann die biologische Uhr zu ticken, sodass die Aussichten auf weitere Kinder um 1520 rapide sanken. Katharina war gute fünf Jahre älter als Heinrich und von den vielen Schwangerschaften und Krankheiten körperlich angegriffen. Zu ihrem Unglück brachte Heinrichs Geliebte, Bessie Blount, 1519 einen gesunden Jungen zur Welt, der zwar kein legitimer Erbe war, aber vom König als Sohn anerkannt wurde. Heinrich hatte seiner eigenen Ansicht nach damit bewiesen, dass das Ausbleiben gesunder Söhne nicht an ihm liegen konnte.

3. Das Ende einer Ehe?

Katharina muss nicht nur mit ihrer Trauer und Heinrichs Untreue umgehen, sie sieht mit den Jahren auch ihren politischen Einfluss schwinden. Anstelle von ihr hat nun Kardinal Wolsey das Ohr des Königs. Und lange, bevor ihr klar wird, dass Heinrich ein Verhältnis mit ihrer Ehrendame Anne Boleyn hat, fürchtet sie um ihren Status.

Irgendwann Anfang der 1520er Jahre begann Heinrich, seine Ehe in Frage zu stellen. Wann er erstmals aktiv über eine Annullierung nachdachte, ist nicht bekannt. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass er bereits vor dem Auftauchen von Anne Boleyn mit dem Gedanken spielte, eine andere Frau zu heiraten. Wahrscheinlich saß sie einfach zum richtigen Zeitpunkt vor seiner Nase und Heinrich schwärmte, spätestens 1526, heftig für sie. Ob aus eigener Ambition, getrieben von ihrer Familie oder weil Heinrich bereits ihre Schwester als Mätresse gehabt und deren Ruf beschädigt hatte, Anne weigerte sich, auf eine Liebschaft einzugehen. Während sein engster Vertrauter Kardinal Wolsey noch hoffte, im Falle einer Trennung eine französische Prinzessin an Heinrichs Seite unterzubringen, wurde für den König Anfang 1527 klar: Er würde Anne heiraten, zur Königin machen und gesunde Söhne haben. Dass Päpste königliche Ehen annullierten, war nicht so ungewöhnlich, und Heinrich führte sein Gewissen als Argument an.

Katharina von Aragon
Katharina zur Zeit der Scheidung: (Bildquelle7)

Praktischerweise heißt es in der Bibel, wenn ein Mann die Ehefrau seines Bruders heirate, sei dies eine Sünde und sie blieben zur Strafe kinderlos. Kinderlosigkeit ließ sich (es gab schließlich Prinzessin Mary) in »ohne Söhne« ummünzen. Das, so Heinrich, sei der Beweis, dass Gott diese Ehe strafe. Weil Katharina mit Arthur verheiratet gewesen war, sei die Ehe mit Heinrich von Anfang an ungültig gewesen. Das war die einzige mögliche Variante, denn eine Scheidung in unserem modernen Sinne existierte damals nicht. Heinrich erwartete, dass der Papst seine »große Sache« im Handumdrehen lösen würde und er frei wäre für eine Ehe mit Anne Boleyn.

Problem 1: Heinrich hatte Katharina seinerzeit mit einem päpstlichen Dispens, also einer speziellen Erlaubnis, geheiratet, um genau dieses jetzt angeführte Hindernis auszuräumen. Der aktuelle Papst hätte also diese Entscheidung seines Vorgängers für ungültig erklären müssen.

Problem 2: Katharina war die Tante Karls V., seines Zeichens römisch-deutscher Kaiser. Der hatte ein mehr als schwieriges Verhältnis zum Papst, der es sich nicht leisten konnte, Karl mit einer Entscheidung gegen Katharina zu verärgern. (Ich werde das bald in einem gesonderten Beitrag weiter ausführen, es ist nämlich sehr erhellend!)

Problem 3: Katharina war nicht im Mindesten bereit, ihre Position an Heinrichs Seite aufzugeben und kämpfte mit all ihrer Kraft gegen die Annullierung der Ehe. Hatte Heinrich sich anfangs eingebildet, Katharina würde sich freiwillig in ein Kloster zurückziehen und ihm das juristische Tauziehen ersparen, hatte er sich gehörig getäuscht. Katharina war seit dem Kleinkindalter darauf vorbereitet worden, ihr Schicksal als Königin von England zu erfüllen, und nicht bereit, davon abzurücken. Sie schwor bei allem, was ihr heilig war, dass die Ehe mit Arthur Tudor nie vollzogen worden und damit auch nie gültig gewesen sei, bei ihrer Heirat mit Heinrich also keinerlei Hindernisse bestanden hätten.

Katharina von Aragon in der Vorstellung des 19. Jahrhunderts
Katharinas Flehen in der Imagination des 19. Jahrhunderts. (Bildquelle8)

Katharina bewies während dieser jahrelangen Auseinandersetzungen und Demütigungen außerordentliche Nervenstärke und großes Selbstbewusstsein. Sie wusste ihre vorgebliche »weibliche Schwäche« in den richtigen Momenten auszuspielen, um Zeit zu gewinnen und hinter den Kulissen umso vehementer bei Karl V. und dem Papst für ihre Sache zu intervenieren. 1529, vor dem Legatengericht in London, warf sie sich Heinrich vor die Füße, flehte ihn in bewusster Theatralik um Gerechtigkeit an, beschwor, seine rechtmäßige Ehefrau zu sein und appellierte an sein Gewissen. Und dann ging sie, da sie das in England tagende Gericht nicht anerkannte. Viele Historiker bezeichnen diese Blackfriars Speech als die Rede ihres Lebens; ganz sicher hatte sie ein Gespür für öffentlichkeitswirksame Auftritte.

Es war allen klar: Katharina würde das Feld nicht räumen, und wenn sie ihr Leben dabei verlöre (was manche fürchteten). Heinrich wurde das Gezerre und vor allem die päpstliche Hinhaltetaktik zu bunt: Ab 1532 verabschiedete er verschiedene Gesetze, mit denen er sich selbst zum Oberhaupt der Kirche von England erklärte. Der Papst war nicht mehr zuständig, und wie ernst es Heinrich damit war, bewiesen die Hinrichtungen zahlreicher Personen, die seine neue Macht nicht anerkannten. 1533 heiratete er Anne Boleyn und ließ sie mit großem Pomp krönen. Das Urteil des Papstes, dass die Ehe mit Katharina gültig sei, kam 1534 zu spät; der Bruch mit Rom war vollzogen.

4. Einsames Ende

Lange Zeit hatten Heinrich, Katharina und Anne in einem seltsamen ménage à trois unter dem selben Dach, zumindest aber am selben Hof, gelebt. König und Königin waren sogar zu offiziellen Anlässen weiterhin gemeinsam aufgetreten, solange die Ehefrage ungeklärt war. Auch das hatte vielleicht Katharinas Hoffnungen genährt, Heinrich würde zur Besinnung kommen und zu ihr zurückkehren. 1531 vollzog er allerdings auch die räumliche Trennung endgültig. Zunächst lebte Katharina noch mit all den Privilegien einer Königin, ihre loyale Dienerschaft wurde jedoch immer weiter reduziert. 1532 musste sie widerwillig ihren königlichen Schmuck herausgeben, damit Anne ihn tragen konnte. Sie durfte auch ihre Tochter Mary nicht mehr sehen – vielleicht, weil Heinrich sich einredete, die beiden würden sich gegen ihn verschwören; wahrscheinlicher, um sie zu zermürben.

Mary I.
Prinzessin Mary als junge Frau. (Bildquelle9)

Offiziell hatte Katharina nur noch den Status einer Prinzessinnenwitwe von Wales, als hätte es ihre zweite Ehe nie gegeben. Sie weigerte sich standhaft, dies anzuerkennen und sich anders als mit den königlichen Titeln ansprechen zu lassen. Während der Hochadel gespalten war, hatte sie die Meinung des Volkes auf ihrer Seite: Obwohl Heinrich 1534 alle Untertanen einen Treueeid auf seine neue Königin schwören ließ, wurde immer wieder berichtet, dass die einfachen Leute nur Katharina akzeptierten.

Ihre letzten Jahre versauerte sie buchstäblich auf zugigen Burgen fernab des Hofes, nur von einigen Getreuen versorgt. Sicherlich erfuhr sie vom Auf und Ab in Heinrichs und Annes Ehe, mag Genugtuung empfunden haben, als Anne auch eine Tochter zur Welt brachte. Dass ihre Rivalin nach nur drei Ehejahren hingerichtet wurde, erlebte Katharina nicht mehr. Sie starb im Januar 1536. Gerüchte über einen Giftmord wurden laut, wahrscheinlicher ist eine Krebserkrankung. Sie schied einsam und verlassen aus dem Leben, aber bis zum letzten Atemzug im Selbstverständnis, Königin von England zu sein.

Katharina von Aragon
Katharina als ideale Königin. (Bildquelle10)

Katharinas Erbe freilich ist ambivalent: Durch ihre dickköpfige Frömmigkeit und ihr Beharren auf der Autorität des Papstes erst brachte sie Heinrich dazu, den Bruch mit der römischen Kirche zu vollziehen. Ihre Tochter Mary gelangte später tatsächlich auf den Thron und verfolgte erbarmungslos den Versuch einer Rekatholisierung Englands, Hinrichtungen inklusive. Während andere historische Frauen oft für ihre außergewöhnliche Aktivität und Progressivität bewundert werden, vertrat Katharina gerade die eher passive, ihr zugedachte, konservative Rolle, allerdings mit bemerkenswerter Vehemenz. Sie erhält ihre historische Bedeutsamkeit also gerade durch ihr stoisches Verweigern, wie Gareth Mattingly in seiner Biographie Katharinas einleitend schreibt:

Some characters appear to triumph with history; some to be overwhelmed by it. […] Here and there, for a moment, a rock resists […]. But the integrity of granite, not less than the fury of rushing water, shapes the final course of the stream. This is the story of a life which shaped history by not moving with its flow.

Gareth Mattingly: Catherine of Aragon, London, 1950, S. 13.

Manche Charaktere scheinen mit der Geschichte zu triumphieren, andere von ihr überwältigt zu werden. […] Hier und da widersteht, für einen Moment, ein Fels. Aber es ist die Festigkeit des Granits, nicht weniger als die Raserei des tosenden Wassers, die den finalen Lauf des Stromes bestimmt. Dies ist die Erzählung eines Lebens, welches die Geschichte formte, weil sie ihrem Gang nicht folgte.

eigene Übersetzung

5. Rezension

"Katharina von Aragón" von Alison Weir
Alison Weir, Katharina von Aragon, Ullstein.

Ich habe lange keine Romane mehr über die Tudor-Zeit gelesen und war deshalb sehr gespannt auf die Reihe von Alison Weir, die jetzt auf Deutsch bei Ullstein erscheint. Tatsächlich war es wie ein Wiedersehen mit alten Bekannten: Frei nach dem Motto »Geschichte enthält keine Spoiler« ist der Roman auch dann lesenswert, wenn man sich schon bestens mit der Lebensgeschichte von Katharina von Aragon auskennt.

Die Autorin hat nicht nur viele Romane rund um die Tudors, sondern auch zahlreiche populärhistorische Sachbücher veröffentlicht. Auch, wenn man ihrer Deutung nicht immer zustimmen muss, kennt sie sich also bestens aus und das merkt man auch dem Roman über Katharina an. Sie hält sich sehr genau an die gesicherten Ereignisse, die sie mit Emotion und Fiktion anreichert, um zu einem sehr plausiblen Bild dieser faszinierenden Königin zu gelangen. Trotz der langen Zeitspanne, die der Roman abdeckt (von Katharinas Ankunft in England 1501 bis zu ihrem Tod 1536), und obwohl kein dramaturgischer Spannungsbogen im engeren Sinn vorhanden ist, bleibt die Handlung von Anfang bis Ende fesselnd.

In vielen fiktionalen Bearbeitungen der Tudors lernen wir Katharina erst gegen Ende kennen, als verbitterte, frömmelnde Ehefrau, die Mitleid erweckt. Dieser Roman hat mich wieder daran erinnert, dass auch ihre Lebensgeschichte vor dem großen Wendepunkt überaus interessant ist. Seit ihrer Jugend hatte Katharina schwere Rückschläge zu erdulden, sodass man sie für ihre Stärke und Zähigkeit wirklich bewundern muss. Gleichzeitig war sie auch nicht die engelsgleiche Heilige, die viele Biographen aus ihr machen: Sie konnte gnadenlos für ihre Interessen und gegen ihre politischen Feinde eintreten und nutzte alle ihr verfügbaren Mittel. Dass sie bis zum Ende bereit gewesen wäre, Heinrich zurückzunehmen, mag uns angesichts der ihr widerfahrenen Behandlung unglaubwürdig erscheinen, deckt sich aber mit ihrem historisch verbürgten Verhalten und ihrem Selbstverständnis als Königin.

Ebenfalls sehr plausibel zeigt Alison Weir, wie abgeschottet der Haushalt der Königin am Hof sein konnte. Wir nehmen heute oft an, dass Katharina über alle Vorgänge rund um Heinrich und den Scheidungsprozess informiert war. Das war aber nicht selbstverständlich, sondern war abhängig von der Loyalität anderer und den Informationen, die man ihr zutrug. Oft musste sie auf Umwegen kommunizieren oder sorgfältig orchestrierte Scharaden aufführen, um ihre Ziele zu erreichen. Besonders dieser Aspekt hat es für mich sehr interessant gemacht, über die Geschehnisse aus Katharinas Perspektive zu lesen.

Während mich die Lektüre also inhaltlich begeistert hat, hat mich die Sprache ein wenig gestört. Der Tonfall war dafür, dass der Roman in der Ich-Form geschrieben ist, vielfach zu distanziert und zu emotionslos. Oftmals fand ich die Wortwahl zu modern und unpassend, gerade bei politischen Sachverhalten. Da ich mir nicht sicher bin, ob das der Übersetzung geschuldet ist, werde ich den nächsten Band wohl auf Englisch lesen. Denn eins ist klar: Für Tudor-Fans und Interessierte ist diese Reihe von Alison Weir Pflichtprogramm. Jede einzelne der Königinnen Heinrichs verdient Aufmerksamkeit für ihre jeweilige Geschichte, und der Roman über Katharina von Aragón ist ein mehr als faszinierender Auftakt. Ich bin besonders gespannt, wie die Autorin mit den zeitlichen Überschneidungen der jeweiligen Geschichten umgehen wird.

Alison Weir: Katharina von Aragón, erschienen im Juli 2020 im Ullstein Verlag.

>>Link zum Verlag<<

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Literatur:

David Starkey: Henry. Virtuous Prince, London, 2008.

Gareth Mattingly: Catherine of Aragon, London, 1950.

Giles Tremlett: Catherine of Aragon.The Spanish Queen of Henry VIII, New York, 2010.

Patrick Williams: Katharina of Aragon. Henry VIII’s Lawful Wife?, Amberley, 2013.

Robert Hutchinson: Young Henry. The rise to power of Henry VIII, London, 2011.

  1. Patrick Williams: Katharina of Aragon. Henry VIII’s Lawful Wife?, Amberley, 2013, S. 9.
  2. Katharina von Aragon, Lucas Horenbout – http://s012.radikal.ru/i319/1102/10/723af1cf1db6t.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2011874, Zugriff am 24.02.2021.
  3. Von Michel Sittow, nach 1500, tudorhistory.org, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17276, Zugriff am 24.02.2021.
  4. Holzschnitt, um 1509, http://www.ngfl.ac.uk/tudorhistory/gallery2.html, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3232502, Zugriff am 24.02.2021.
  5. Zitiert nach Giles Tremlett: Catherine of Aragon.The Spanish Queen of Henry VIII, New York, 2010, S. 173.
  6. Nach Hans Holbein dem Jüngeren – eAHC0d0WiemXSA at Google Cultural Institute, zoom level maximum, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=21878559, Zugriff am 24.02.2021.
  7. Miniatur, Lucas Horenbout zugeschrieben – cropped from File:Lucas_Horenbout_-Portrait_of_Catherine_of_Aragon-_WGA11739.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19420086, Zugriff am 24.02.2021.
  8. Henry Nelson O’Neil – Historia n°767 – Novembre 2010 – page 49, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12114792, Zugriff am 24.02.2021.
  9. Master John (floruit 1544-1545) – Scanned from the book The National Portrait Gallery History of the Kings and Queens of England by David Williamson, ISBN 1855142287., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6640332, Zugriff am 24.02.2021.
  10. Joannes Corvus zugeschrieben – NPG, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=77020698, Zugriff am 24.02.2021.

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